Zusammenfassung
Vorliegende Arbeit eröffnet mit Schlaglichtern auf die (für Jelinek) wesentlichen philosophischen Strömungen des 20. Jahrhunderts, die in nachfreudianischer Psychoanalyse, (Post-)Strukturalismus und Dekonstruktion sowie den Überlegungen einer Zweiten Frauenbewegung die aufklärerische Vorstellung eines autonomen Subjekts immer unhaltbarer machen. Zusammenhänge dieser Subjekt-Dezentralisierung zu einem sich wandelnden Kunstverständnis werden an Beispielen der russischen Avantgarde, der deutsch-österreichischen Neoavantgarde und des nouveau roman in aller Kürze beleuchtet. Den Abschluß des Kapitels bildet eine erste Abgrenzung der Kunst Elfriede Jelineks von ihren theoretischen Äußerungen.
Da Elfriede Jelinek mit der Klavierspielerin (1983) erste größere Aufmerksamkeit in der journalistischen Öffentlichkeit erlangte, dieser Roman sich aber in seiner entwicklungsromanesken Figurenpsychologisierung sehr von der übrigen Prosa der Autorin abhebt, schien es wichtig, sich eine Meinung über den Kunststatus der frühen Prosa Jelineks zu bilden und sie in einem zweiten Kapitel der Arbeit darzulegen. Die Romane der ausgehenden sechziger und der siebziger Jahre – des Jahrzehnts also der frauenbewegten „Bekenntnisliteratur“ – zeigten sich dabei als der Tradition einer Neoavantgarde epigonal, der die Herstellung von (sinnentleerten) „Gegenständen“ wichtiger war als der Ausdruck zerrissener Innerlichkeit. Die Lektüre von Lust allein in der Tradition der Klavierspielerin tut dem Werk keinen Gefallen. Eine (bessere) Interpretation auf Sinnentleerung hin ist in der Schreibtradition der Autorin selbst begründet.
Jelineks Äußerung, in Lust plane sie ein weibliches Gegenstück zu Georges Batailles Geschichte des Auges – erotische Literatur also –, begründet die beiden folgenden Kapitel. Die Ankündigung entfachte, da das Buch schließlich vorlag, eine Diskussion um seine (Anti-)Pornographie. Im engen Anschluß an Kap. I.5 werden darum hier noch einmal Selbstaussagen Jelineks gegeneinander und gegen theoretische Äußerungen im Zusammenhang der PorNo-Debatte gehalten. Die Position einer Abgrenzung ihrer Kunst von ihrer Theorie, das bedeutet eine nicht-feministische Lesart der Lust, gewinnt an Boden.
Da der theoretische Ansatz des (im deutschen universitären Diskurs noch viel zu wenig populären) zwischen Surrealismus und Existentialismus stehenden Philosophen Georges Bataille sich als ausgesprochene Bereicherung bei der Interpretation der späteren Texte Jelineks erweist, finden zehn Seiten zu Eingang des vierten Kapitels sich den Gedanken Batailles gewidmet. Im Hinblick auf einen möglichen Einfluß insbesondere auf den Schluß von Lust wird auch sein literarisches Werk Die Geschichte des Auges vorgestellt. In den Ausgesperrten (1980) wird von einer Figur aus der Geschichte des Auges vorgelesen und Bataille explizit genannt. Im Rahmen meiner Arbeit ein Exkurs, findet sich der Roman darum dennoch unter dem Aspekt Bataillescher Entgrenzungsthematik in Ansätzen interpretiert. Rainer Witkowskis Verbrechen entpuppt sich dabei als authentischer und souveräner Akt. Während die Ausgesperrten Bataille also eher positiv bewerten, scheint die Klavierspielerin in ihrer Psychologisierung die Grenzen der Batailleschen Theorie aufzeigen zu wollen. Es zeigt sich aber, wie auch ein Mißlingen von Entgrenzung und Souveränität mit Bataille zu begründen ist. So wird auch Lust auf der inhaltlichen Ebene mit Bataille gelesen: Prostituierung und Einsamkeit der Figuren hintertreiben eine Fruchtbarkeit ihrer fortwährenden Suche nach Kommunikation. Die Isolierung scheint auf der Ebene der „Profansprache“ (Bataille) wie auch der Körpersprache aufgrund ihrer Zitathaftigkeit nicht zu durchbrechen.
Nachdem das fünfte Kapitel sich noch einmal der Thematik von Zitathaftigkeit versus Authentizität zugewandt hat, zitiert Kapitel 6 das in den Gedichten des Mystikers Johannes vom Kreuz nachgewiesene Motto von Lust. Die Allegorese, die Johannes selbst den Versen nachgestellt hat, wird referiert und – angereichert mit einigen Zitaten aus dem ebenfalls auf Johannes zurückgreifenden Mystik-Aufsatz Batailles – für die Interpretation der Thematik von Entgrenzung und Kommunikation in Lust fruchtbar gemacht.
Die Arbeit schließt mit Überlegungen zur Sprachbehandlung in Lust. Gezeigt wird dabei, daß und warum eine auf Geschlechterkampf und Gesellschaftskritik gehende inhaltliche Interpretation des Werkes unhaltbar sein muß. Die Kommunikation, die den Figuren mißlingt, erscheint zur Gänze auf die Sprache des Textes verschoben. Die Desemantisierung aber der in unendlicher Redundanz sich totlaufenden Schilderungen läßt nicht einen hermeneutisch aufzuladenden Wortinhalt, sondern eben gerade den Schrecken der Sinnentleerung zur Bedingung der Möglichkeit einer (Batailleschen) Kommunikation zwischen Autorin und LeserInnen werden.