Portion als Position? Feminismus bei Elfriede Jelinek

Elfriede Jelinek firmiert in Sigrid Weigels Frauen-Literaturgeschichte Die Stimme der Medusa mit ihrem Frühwerk unter den „Autorinnen, die vor der ‘Frauenliteratur’ schrieben und publizierten.“ Als „dem männlichen Literaturbetrieb angepaßt“ habe sie wie etliche andere ihrer Generation zunächst den Lesebedürfnissen der Frauenbewegung nicht entsprochen, sei nicht rezipiert worden.[1] Als „Außenseiterin der ‘Frauenliteratur’“ wird sie auch bezüglich den Liebhaberinnen (1975) noch bezeichnet[2]. Mit Theaterstücken wie Nora (1979) und Clara S. (1982) sowie der Klavierspielerin (1983) ändert sich die Rezeptionshaltung – oder besser: sie beginnt überhaupt. Jelinek wird – wenn man Glück hat: aufgrund ihrer theoretischen Texte[3], wenn man Pech hat: aus (betroffener) immanenter Interpretation – als Feministin rezipiert, nicht ohne freilich ihre „anti-realistische, ironisierte, agitatorische Schreibweise“ der ‘Bekenntnisliteratur’ als „den autobiographischen Anklagen der Mütter in Protokollen und veröffentlichten Briefen von Töchtern während der siebziger Jahre“[4] entgegenzusetzen. Da von solcher Seite die Ausgesperrten (1980) und noch Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr (1985) merkwürdig unkommentiert bleiben, bis auf Lust (1989) man sich wieder stürzt, liegt die Vermutung nahe, die frühen Texte Jelineks, die hauseigene Schreibtradition der Autorin also, kämen zu wenig in den Blick dieser beginnenden Rezeption. Da in Lust das Sprachspiel der frühen mit an der Textoberfläche zu greifenden Inhalten der mittleren Schreibperiode zusammenfallen, scheint mir gerade an den Beurteilungen dieses bisher letzten Prosawerks letztendlich ablesbar, ob RezensentInnen Jelinek (als Feministin) nach einer für typisch gehaltenen Klavierspielerin in der Tradition entwicklungsromanesker ‘Bekenntnisliteratur’ gelesen haben, oder ob die Klavierspielerin als doch sehr aus dem Prosa-Gesamtwerk Jelineks herausfallend beurteilt werden konnte[5]: ob man Lust also liest vor dem Hintergrund der unengagierten Kunst und Sinnentleerung der Sprache, die Jelinek in ihren der Wiener Neoavantgarde epigonalen frühen Prosatexten mitvollzogen hat. Eine Entscheidung wird nicht unabhängig davon sein, was im Text sichtbar werden soll.

Sicherlich stellt Jelineks Bachmann-Essay - oft zitiert, oft publiziert[6] - eine dezidiert feministisch positionierte Interpretation Bachmanns und der Todesarten dar. Interviewaussagen Bachmanns werden dabei mit Abschnitten ihrer literarischen Texte - etwa auch aus Undine geht - vermischt zitiert und die Angemessenheit der Bachmannschen Analysen mit frauenfeindlichen faschistischen Zitaten und Praktiken jedem Zweifel enthoben: „Im Faschismus ist die Frau, wagt sie es, über ihre Rolle als Gebärerin und Pflegerin hinauszutreten, Seuche, Feind im Inneren, ‘Fäulnis auf Raten’ (Céline). Sie wird zur allgemeinen Verderberin, zum Feind von außen. Wie die Juden.“[7] In der isolierten Betrachtung der Resultate, wie nur ein ideologischer Blick sie liefern kann, wird der Flammentod der unbequemen Autorin Bachmann mit einem mittelalterlichen Frauentod auf dem Scheiterhaufen gleichgesetzt. Und: „[D]as Leid dieser einen Frau ist das Leid aller Frauen.“[8] In Analogie zu Malina und ebenso effektvoll endet Jelineks Essay mit der Feststellung, Bachmann sei ermordet worden – eine These, deren medizinischer Untermauerung dann EMMA (2/1991) anläßlich Schroeters Malina-Verfilmung sich annimmt.

Der Krieg mit andern Mitteln also: ein feministischer Essay, es besteht kein Zweifel. Ebenso wahr ist – es wurde erwähnt –, daß Jelinek Interviewaussagen, d.h. theoretische Positionen Bachmanns mit Sätzen aus deren literarischen Texten vermischt. Schamlos werden da ‘eins zu eins’ die Textsorten ineinander überführt, ohne gleichzeitig den Kunstcharakter der solcherart ausgeschlachteten Texte dadurch in Frage gestellt zu sehen. Wer wollte da bezweifeln, daß in Jelineks Kunst ebenso (nur rasch) die diskursive(!) Verarbeitung ihrer theoretischen Positionen zu suchen sei, um die Texte zu erschöpfen? „Vom Inhalt [aber] eines Romans [zu] sprechen wie von etwas von seiner Form Unabhängigem“, haben wir oben (Kap. I.3.) zitiert, „läuft darauf hinaus, die ganze Gattung aus dem Bereich der Kunst zu streichen.“[9] Beinahe scheint nichts mehr zu retten. Beinahe.

Was nämlich sollen wir tun, wenn wir in Interviews mit Elfriede Jelinek Selbstaussagen der Autorin finden wie die, daß sie „sozusagen zweigeteilt“ sei?

„Da ich aus dem Mittelstand komme, habe ich die gesellschaftlichen Bedingung nie als wirklich hemmend empfunden. Jede intellektuelle Tätigkeit ist bei mir immer sehr gefördert worden. Mein Engagement ist wie bei Engels ein Verstandesengagement. Ich bin sozusagen zweigeteilt. In meiner Arbeit vielleicht weniger engagiert als in meinem Privatleben.“[10]

Letztendlich zu ‚fehlen’ scheinen traumatische oder als solche eingestufte Erlebnisse, die zum wahren, auf Ressentiment gegründeten ideologischen Biß erst disponieren. Auch ihren Feminismus stuft Jelinek als „intellektuelle[n] Prozeß“ ein, um im Gegensatz dazu in ihrer Kunst ihre „sexuellen Obsessionen“ ausgedrückt zu sehen – ihre „Erotik“, so möchte man ergänzen, die ihr „[n]a, die Monroe natürlich“[11] unter den Frauen am besten gefallen läßt.

„Gerade daß ich diese Obsessionen literarisch aufarbeiten kann, hält mich halbwegs in einer normalen Existenz. Es gibt ja keine weiblichen Lustmörder, aber wenn ich ein Mann wäre, müßte ich sagen: es ist hart an der Kippe. Da könnte ich wahrscheinlich wirklich gefährlich werden [sc.: und zwar – als Mann – für Frauen!]. So kann ich das literarisch abhandeln. Gott sei Dank. Ich bin eben nicht sprachlos. Die meisten Lustmörder sind nämlich sprachlos.“[12]

(Zu späteren Zeitpunkten der vorliegenden Arbeit wird zur Einschätzung des Jelinekschen Standpunktes diese hochinteressante Stellungnahme wiederholt hinzuzuziehen sein.) Hier also findet sich – „Gott sei Dank“ – genügend Material, um die Behauptung einer Diskrepanz zwischen Jelineks theoretischen Äußerungen und ihren literarischen Texten aufrechtzuerhalten. Nach Julia Kristeva ist die beste Literatur diejenige, in der vorsprachliches Begehren die Struktur der symbolisierenden Sprache zu stören und dadurch zum Ausdruck zu kommen vermag[13]. (Eines von Kristevas Paradebeispielen dafür ist der auch von Jelinek zitierte Louis-Ferdinand Céline[14], dessen literarische Arbeiten mit seinen faschistischen Äußerungen in Pamphleten zu vermischen und auch seine Kunst deshalb zu verdammen sie sich bekanntlich weigert[15]. Ich bin geneigt, bei Jelinek ein ebensolches Unterscheidungsvermögen, einen ebensolchen Kunstverstand – und sei er nicht öffentlich eingestanden – anzunehmen.)

Vornehmste Aufgabe einer Interpretation von Elfriede Jelineks Lust sollte mithin sein, eine so verstandene Literarizität des Textes aufzudecken. Man kann im Ernst nicht glauben wollen, Jelinek halte „Wahrheit“ – „so bar, so blank, - als ob / Die Wahrheit Münze wäre!“ – für etwas solcherart Existentes, daß ihr ein Prädikat wie die Zumutbarkeit für den Menschen zugeschrieben werden könnte. Statt feministisch-alt-links danach zu streben, „das laut zu sagen, was ist“ (Rosa Luxemburg), scheint die lederbekleidete Elfriede Jelinek eher bemüht, das laut zu sein, was sie sagt. „Ja, wenn noch / Uralte Münze, die gewogen ward! - / Das ginge noch! Allein so neue Münze, / Die nur der Stempel macht, [der „Stempel des Mannes“, mit dem „<d>ie Frau <...> jeden Tag aufs neue entwertet“ wird <LU, 19>] [./..] das ist sie doch nun nicht!“[16] Das Aufspüren isolierbarer und im feministischen Diskurs längst vorformulierter Kernsätze läßt einen literarischen Text ‘Kunst’ nicht bleiben. Um lupenrein feministisch zu sein, hätte – Jelineks Äußerungen zufolge – ihre Kunst ausschließlich ihrem Intellekt, einem bereits zu allseitiger Zufriedenheit symbolisierten Bewußtseinsinhalt zu entspringen. Sie wäre von der Autorin selbst (resp. ihrem feministischen Über-Ich) zensierte Kunst, wie sie freilich einige Feministinnen nicht anstehen zu fordern (es wird darauf zurückzukommen sein).

Mir scheint also, um es noch einmal zusammenzufassen, eine Lesart von Lust in der Tradition der frühen, sprachspielerischen Jelinek diesen Text zum interessanteren und überhaupt erst zu ‘Kunst’ zu machen. Es kann aber deshalb eine Arbeit über Lust nur beginnen mit einer Einordnung des Textes in den Rahmen der übrigen bis 1989 verfaßten Prosa Jelineks. Eine Einordnung, die in der Beobachtung der zwanzigjährigen Modifikation ihres Schreibstiles einige in Lust zu Tage tretenden stilistischen Auffälligkeiten zu beurteilen hilft. Eine Emanzipation von den Vorbildern und Umdeutungen stilistischer Verfahren wären dabei ebenso aufzuzeigen wie doch wohl unhintergehbare Erkenntnisse, die m.E. eine Lektüre von Lust als frauenpolitisch engagierten Text letztendlich verbieten. – „Wie Geld in Sack, so striche man in Kopf / Auch Wahrheit ein? [...] ?“ ...


[1]Sigrid Weigel, Die Stimme der Medusa. Schreibweisen in der Gegenwartsliteratur von Frauen, Reinbek 21989, S. 28, Hervorhebung im Original.

[2]ebd. S. 237.

[3]So registriert Regula Venske zwar das „sich verselbständigende Sprachspiel“ in Lust, schließt aber aus den außerliterarischen Bezugnahmen Jelineks auf Ingeborg Bachmann letztendlich doch nur, daß „sämtliche Texte Jelineks [...] das Bachmannsche Diktum illustrieren [können], der Faschismus sei ‘das erste in der Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau’“ (Regula Venske, Das Verschwinden des Mannes in der weiblichen Schreibmaschine. Männerbilder in der Literatur von Frauen, Hamburg - Zürich 1991, S. 114f).

[4]Barbara Kosta, Muttertrauma: Anerzogener Masochismus. Waltraut Anna Mitgutsch, Die Züchtigung. Elfriede Jelinek, Die Klavierspielerin, in: Mütter - Töchter - Frauen. Weiblichkeitsbilder in der Literatur, hg. von Helga Kraft und Elke Liebs, Stuttgart - Weimar 1993, S. 243-265, S. 262.

[5]Eine Einschätzung, die derjenigen Jelineks übrigens entspricht: „Dann wurde auch bei der Klavierspielerin, [...] - eigentlich eine Ausnahme von meinen sonstigen Sachen - das biographische Element, also meine Person in meine Arbeit hineinzuziehen und beide zu einem Brei zu verrühren, daß man nicht mehr wußte, was das eine und was das andere war.“ Und weiter: „Ich glaube, wenn man nach der Klavierspielerin die Lust liest, ist man fassungslos, wie dieser Wechselbalg [Lust] in mein Werk kommt.“ (Elfriede Jelinek im Gespräch mit Margarete Lamb-Faffelberger, in: Margarete Lamb-Faffelberger, Valie Export und Elfriede Jelinek im Spiegel der Presse. Zur Rezeption der feministischen Avantgarde Österreichs, New York etc. 1992, künftig zitiert: Lamb-Faffelberger, Rezeption, S. 184 und 193, Fettungen von mir).

[6]Elfriede Jelinek, Der Krieg mit andern Mitteln. Über Ingeborg Bachmann, in: Die schwarze Botin, H.21 (1983) S. 149-153, künftig zitiert: Bachmann-Essay. (Wieder in: Kein objektives Urteil, nur ein lebendiges: Texte zum Werk von Ingeborg Bachmann, hg. von Christine Koschel, München 1989, sowie mit aktualisiertem Anfang in EMMA 2 [1991] S. 21-24.) Zitiert wird eine entscheidende feministische Passage des Essays im Vorwort Christa Gürtlers zu dem von ihr herausgegebenen Sammelband Gegen den schönen Schein. Texte zu Elfriede Jelinek, Frankfurt a.M. 1990, künftig zitiert: Gegen den schönen Schein. Der Titel des Buches selber spielt noch einmal auf die im Vorwort (S. 8) zitierte Passage an: „Die Frau ist das Andere, der Mann ist die Norm. Er hat seinen Standort, und er funktioniert, Ideologien produzierend. Die Frau hat keinen Ort. Mit dem Blick des sprachlosen Ausländers, des Bewohners eines fremden Planeten, des Kindes, das noch nicht eingegliedert („ge-gliedert“) ist, blickt die Frau von außen in die Wirklichkeit hinein, zu der sie nicht gehört. Auf diese Weise ist sie aber dazu verurteilt, die Wahrheit zu sprechen und nicht den schönen Schein.“ (Bachmann-Essay, S. 151.)

[7]Bachmann-Essay, S. 150.

[8]ebd. S. 149. Vgl. dagegen: „Muß ein Jude gleichzeitig immer ALLE Juden sein aufgrund des entsetzlichen Schicksals der Juden? Es scheint fast so ... davor muß man sich sicher hüten!“ („Die Frau ist nur, wenn sie verzichtet zu sein“. Ein Gespräch mit Elfriede Jelinek, in: Die Philosophin. Forum für feministische Theorie und Philosophie, 8 (1993) S. 94-98, künftig zitiert: Jelinek in Philosophin; S. 96).

[9] Robbe-Grillet, Argumente, S. 47.

[10]Wahrscheinlich wäre ich ein Lustmörder. Ein Gespräch mit Elfriede Jelinek / Von Georg Biron, in: Die Zeit Nr. 40 (28.9.1984) S. 47f., künftig zitiert: Lustmörder; S. 48, Hervorhebung von mir. Vgl. auch Löfflers scharfsinnige Einschätzung zu Jelineks 1974 erfolgtem Eintritt in die KPÖ: „Da [in der KPÖ] konnte sie sich im exklusiven Zirkel des orthodoxen Marxismus zugleich theoretisch mit den Vielen solidarisieren und praktisch als illustres Unikat glänzen.“ (Siegrid Löffler, Spezialistin für den Haß, in: Die Zeit [4.11.83] S. 83).

[11]Alle Zitate ebd., S. 47f. Eine Feministin würde Monroe vielleicht eher als Beispiel der Zurichtung der Frau zum Sexualobjekt erwähnen, vgl. Lisbeth N. Trallori, Atombombe und Sexbombe. Krieg und Erotik im Patriarchat der 50er Jahre, in: Rote Küsse. Frauen-Film-Schaubuch, hg. von Sabine Perthold, Tübingen 1990, S. 48-53.

[12]Lustmörder, S. 47.

[13]Vgl. Julia Kristeva, Die Revolution der poetischen Sprache, Frankfurt a.M. 1978, S. 32-113. Dazu auch Suchsland, Kristeva, S. 96-98, S. 101-107.

[14]Vgl. etwa das Kapitel über Céline in Julia Kristeva, Povoirs de l’horreur. Essai sur l’abjection, Paris 1983, sowie Dies., Die Aktualität Célines, in: Rowohlt Literaturmagazin 10 (1979) S. 67-78.

[15]„Seines Antisemitismus wegen ist Céline ein äußerst umstrittener Autor. Auch Kristeva sieht sich aufgrund ihrer eingehenden Beschäftigung mit seinen Werken heftigen Angriffen ausgesetzt, sie trage dazu bei, Antisemitismus gesellschaftsfähig zu machen. Doch Kristeva lehnt es ab, Literatur moralisch zu maßregeln und besteht auf dem Recht, auch Kompromittierendes auszusprechen, denn psychoanalytische Erkenntnis setzt die Möglichkeit unzensierten Schreibens und Sprechens voraus.“ (Suchsland, Kristeva, S. 151f., Hervorhebung von mir).

[16]Gotthold Ephraim Lessing, Nathan der Weise, III, 6.