Das perfekte Datum
Als Mariä Verkündigung 2010 auf Initiative von muslimischer Seite hin im Libanon staatlicher Feiertag wurde um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken, begannen wir uns über Ursprung und Inhalt dieses Festes sowie sein im Verhältnis zu Weihnachten so bescheidenes Begängnis Gedanken zu machen: Was hat es mit diesem Hochfest und seiner unverzichtbaren inhaltlichen Ergänzung, der Heimsuchung, auf sich, da seine Marginalisierung hierzulande auf so wenig Protest oder auch nur Unverständnis stößt? Sicher: Mariä Verkündigung fällt in aller Regel in die Fastenzeit (warum das im Prinzip sehr sinnvoll ist, werden wir noch sehen), zu der die Werktage von Aschermittwoch bis Karsamstag zählen. In dieser Zeit will man nicht feiern. Fällt Mariä Verkündigung auf einen Sonntag, ist es nicht relevant genug, um den Sonntag zu verdrängen. Bei einem ganz frühen Ostertermin wie 2008 fällt es in die Osteroktav, in der kein anderes Fest gefeiert werden darf. Also keine Chance.
Beinahe noch ärger ergeht es dem Fest Mariä Heimsuchung, dessen Feier man auf den 2. Juli geschoben hat und das wohl noch mehr Christen alljährlich durch die Maschen rutscht; wozu die völlige zeitliche Ablösung vom Anlaß des Festes einen Beitrag leisten dürfte. Denn woran erinnert das Fest Mariä Heimsuchung? An den Besuch Mariens bei ihrer Verwandten Elisabeth, zu der sie direkt nach der Verkündigung aufbricht. Und wie auch immer man sich die Wanderung des jungen Mädchens vorzustellen hat - ob sie die etwa 150 Kilometer von Nazareth nach Jerusalem tatsächlich ganz allein zu Fuß zurückgelegt hat oder ob es einen Wagen gab, der sie ein Stück mitnahm - bis nach der Niederkunft der Elisabeth (die wir am 24. Juni begehen) hat sie jedenfalls nicht gebraucht, denn deren Kind hüpft ihr bekanntlich im Leibe, als die Mutter ihres Herrn sie besucht.
Die Bewegung des Johannes bedeutet zweierlei: In Maria bewirkt die Begrüßung ihrer sehr viel älteren Verwandten, daß sie jetzt erst begreift, wie ihr geschehen und was ihr "Ja" dem Boten Gottes gegenüber ausgelöst hat. Für uns lesende Zeugen beweist es, daß Christus in diesem Moment schon in der Welt ist. Und so ist es kein Wunder, daß es zwar in Verkündigungsdarstellungen von Kreuzen wimmelt, die der auf Maria herabschwebende Jesusknabe jeweils geschultert trägt, daß aber nur ausgefuchste Bilddeuter auf Anbetungsdarstellungen in einer etwaigen Verzahnung von Dachbalken des Stalles zu Bethlehem einen Hinweis auf das Kreuz und mithin die messianische Zukunft des neugeborenen Erlösers erkennen können.
Die Inkarnation des logos geschieht durch Marias "Ja". Zur Verkündigung des Herrn, derer wir am 25. März gedenken sollen, kommt Christus in die Welt. Um zu begreifen, was geschehen ist, braucht Maria den Besuch bei der Mutter Johannes des Täufers. Der Heilsplan aber ist abgeschlossen, als Gabriel Maria verläßt.
Also: Was für ein Datum! Was für ein Fest! Die Voraussetzung schlechthin für das Osterereignis! Keine Passion ohne Menschwerdung. Keine Geburt ohne Marias "Ja" zur Empfängnis des Erlösers. So hält denn auch Joseph Ratzinger/ Benedikt XVI. im Kapitel "Heilige Zeit" seiner Einführung "Der Geist der Liturgie" fest: "Im Johannesevangelium [...] steht die Inkarnationstheologie gleichrangig neben der Ostertheologie, [...sie] erscheinen als die zwei untrennbaren Schwerpunkte des einen Glaubens an Jesus Christus, den menschgewordenen Sohn Gottes und Erlöser. Kreuz und Auferstehung setzen die Inkarnation voraus. Nur weil wirklich der Sohn und in ihm Gott selbst 'herabgestiegen ist' und 'Fleisch angenommen hat aus Maria der Jungfrau', sind Tod und Auferstehung Jesu Ereignisse, die uns allen gleichzeitig sind und die uns [...] Gegenwart und Zukunft eröffnen."
Komisch, daß man ein so wichtiges Datum aus einem getauften "sol-invictus"-Fest des römischen Reiches zurückgerechnet haben soll. Stimmt. Hat man deshalb offenbar auch nicht. Die Publikationen zum Weihnachtsdatum sind Legion. Hans Förster bspw. hat aus seiner Dissertation eine "Spurensuche" zum Thema "Weihnachten" extrahiert, nach deren Lektüre einem vor lauter antiken Namen, Daten und Berechnungen der Kopf brummt. Dennoch hält sich alljährlich die These von der Lichterfeier zur Wintersonnenwende hartnäckig in den Feuilletons. Doch offenbar ist es Zeit umzudenken. Noch einmal Ratzinger, "Der Geist der Liturgie": "Die alten Theorien, der 25. Dezember sei in Rom im Gegensatz zum Mithras-Mythos oder auch als christliche Antwort auf den Kult der unbesiegten Sonne geformt worden, [...] lassen sich heute nicht mehr halten."
Nicht Mariä Verkündigung wurde vom 25. Dezember nach vorne gezählt, sondern umgekehrt: Weihnachten feiern wir neun Monate nach Jesu Herabkunft in den Schoß der Jungfrau. Ratzinger: "Den Ausgangspunkt für die Festlegung von Christi Geburtstag bildet erstaunlicherweise das Datum des 25. März." Vor dem Hintergrund der antiken Vorstellung, der perfekte Mensch sterbe am Jahrestag seiner Geburt (in diesem Fall: Seiner Herabkunft), verbindet sich dieses Datum zudem unkompliziert mit der Passion: Joseph Ratzinger sieht "die älteste Notiz darüber bei dem afrikanischen Kirchenschriftsteller Tertullian (ca. 150 - ca. 207), der es offenbar als eine bekannte Überlieferung voraussetzt, daß Christus am 25. März den Tod am Kreuz erlitten hatte. In Gallien wurde dieser Tag noch bis ins 6. Jahrhundert als unbewegliches Osterdatum festgehalten."
Man könnte also sagen, wenn der Karfreitag einmal auf Mariä Verkündigung fällt, wie sich dies 2005 und 2016 traf, nun aber erst 2157 wieder geschehen wird: So war's gedacht! Das Verkündigungsdatum ist das in jeder Hinsicht erste. Es geht allem voraus, umfaßt in seinen Bedeutungsfacetten Herabkunft, Passion und Auferstehung Christi und macht mit seiner Position im Jahreskreis die Verbindung von Inkarnations- und Ostertheologie sinnfällig, deren Voraussetzungen es schafft. Sollte man nicht das Geschenkfest auf den Nikolaustag und St. Lucia zurückschieben und statt dessen Mariä Verkündigung als das Datum der alle Theologie in sich begreifenden Inkarnation wieder mehr in den Fokus rücken? Nicht zuletzt würde dies - um ein letztes Mal mit Ratzinger zu sprechen - "die marianische Dimension der christologischen Feste" stärker in den Blick zu nehmen.
Dr. Cornelie Becker-Lamers
Der Text erschien zuerst in: X451. Fanzine des katholischen Glaubens, im Auftrag des Neuevangelisierungsvereins X451 e.V. von hg. Sebastian Berndt Nr. 21 (Februar 2021) ISSN 2568-7409, S. 4f.