"Die Zeit gerafft in eine Seh-Sekunde"

Zu Barbara Hellers Musik-Malereien im Kunstkabinett Weimar, Februar 1996.

Ob sie - als Frau - ein Lied nun komponiere oder nicht, hatte Fanny Mendelssohn (1805 - 1847) geklagt, sei einerlei: " - kräht ja doch kein Hahn danach!" Den Hahnenschrei zu ersetzen und eine Öffentlichkeit wachzurütteln, die einen beachtlichen Teil ihrer wertvollsten kulturellen Erzeugnisse bis zum materiellen Zerfall der ungedruckten Manuskripte verschlafen zu wollen schien, war und ist Ziel des mittlerweile ins 18. Jahr seines Bestehens gehenden Internationalen Arbeitskreises "Frau und Musik". Dem unermüdlichen Engagement dieser Gruppe ist es zu verdanken, daß eine nach wie vor männlich geprägte Musikwelt sich doch in - etwa "Frau und Musik" überschriebenen - Lexikon-Artikeln die Geschichte einer bewußten Ausgrenzung begabter Komponistinnen inzwischen eingesteht.

Zur Feier des 60. Geburtstages eines seiner prominentesten Gründungsmitglieder, der Darmstädter Komponistin, Pianistin und Musikwissenschaftlerin Barbara Heller, wird die Thüringer Landesgruppe des o.g. Arbeitskreises einen lange gehegten Wunsch Hellers erfüllen. Eine Veranstaltungsreihe, "Kompositionen in Bild und Musik", wird mit fünf Abenden den Auftakt der Thüringer Frauenmusiktage 1996 bilden. Im Rahmen einer Ausstellung, die eine Auswahl nach Musik Barbara Hellers entstandener Malereien und Grafiken von Eva Korn, Franca Weiss, Barbara Bredow und Eva Dahme-Schmitt sowie von Heller selber zeigt, wird die Musik erklingen, die diese Werke in langen Jahren fruchtbarer Zusammenarbeit hervorgebracht hat.

Ein Traum liegt hier auf der Hand, der schon Generationen von Künstlern umgetrieben hat: die Frage nach einer wechselseitigen Übersetzbarkeit der Ausdrucksgehalte von Bild und Text, Wort und Musik, Malerei und Tonkunst. Der Programmusik des vergangenen Jahrhunderts, den "Bildern einer Ausstellung" Modest Mussorgskis, gehören in diesem Zusammenhang wohl die ersten Assoziationen.

War aber im 19. Jahrhundert auf eine gegenständliche Bildende Kunst eine Musik getroffen, die in den Landschaftsmalereien ihrer Symphonischen Dichtungen um sprachähnlichen Ausdruck rang, ist nach der Ersten, nach der Zweiten Avantgarde mit einem völlig veränderten Zugriff auf dieselbe Thematik zu rechnen. Der traditionellen Suche nach einer Vertonung bildnerischen Ausdrucks oder nach (figürlicher) Transkription musikalischen Gehalts muß heute die Frage zur Seite getreten sein, inwieweit bereits die unübersetzten Ausdrucksmittel der einen Kunst die Möglichkeiten der jeweils anderen erweitern. Wie im Alten China einfach Schreiben schon Kunst war, so besitzen die Partituren Barbara Hellers kalligrafischen Eigenwert: Die bloße Verschriftlichung neuer Klangstrukturen erweitert heute bereits die Ausdrucks- und Eindrucksmittel der Bildenden Kunst. Wenn Heller umgekehrt in ihren TonZeichen als Notation auffaßt, was als Grafik entstanden ist und spielt, was zu sehen wäre, erhält die Musik zurück, was sie der Zeichnung vorher abgetreten hatte.

Wenn Eva Korn Heller um "Skizzen, Noten, Schriftliches" bittet, um "Herauskopien, Vergrößerungen, Collagen, Übermalungen" daraus zu machen - "die ganze Musik auf einem Blatt! Die Zeit sozusagen gerafft in eine Seh-Sekunde" (Heller) -, dann hat das etwas von einer Aneignung, einer späten Beerbung der Strategien der Konkreten Poesie. Die zugehörige musique concrète - Tonbandcollagen aus vorfindlichen wie auch elektronischen Geräuschen - macht Heller selber: Tonbänder, die Eva Korn dann als Installationen wiederum ins Objekt überführt.

Die Vernissage zu "Kompositionen in Bild und Musik" findet am Donnerstag, dem 8. Februar, im Kabinett am Goetheplatz statt. Neben Konzerten, Uraufführungen, sind eine Performance (10.2.) und eine Podiumsdiskussion (17.2.) im Programm vorgesehen. Detaillierte Informationen über die Konzertreihen im April, Mai und im Juli - weitere Schwerpunkte der diesjähringen, erstmals thüringenweiten Frauenmusiktage - erteilen die Mitarbeiterinnen des Arbeitskreises "Frau und Musik", Goetheplatz 9b, 99423 Weimar, Tel/ Fax 03643/64312.

Cornelie Becker