Bruckner im U-Bahnschacht

String Thing gastierte im Jazzklub am Anger

Was ist der Unterschied zwischen einem Geigenbogen und einem Jazzbesen? Es gibt keinen. Jedenfalls nicht, wenn Mike Rutledge den Bogen über seine Bratsche führt, um in der Komposition "Jive" des Jazz-Quartetts String Thing die rhythmischen Akzente zu setzen. Die perfekte Simulation ganzer Instrumentengruppen und das Verschmelzen gegenläufiger musikalischer Stile sind die Stärken dieser jungen Gruppe, die sich seit ihrer ersten CD 1992 mit festem Schritt den Musikmarkt erobert.

Ihrer für den Jazz außergewöhnlichen Besetzung - Nicola Kruse (Violine), Mike Rutledge (Viola), Hagen Kuhr (Violoncello), Frank Skriptschinski (Kontrabaß) - entlocken die vier jungen Musiker Klangeffekte, die jeder elektronisch manipulierten Geräuschcollage alle Ehre machen würden: in "FM9X,2" beispielsweise, die wie alle Stücke Eigenkomposition und Improvisation der Gruppe ist.

"Metronopoly" ist die dritte und jüngste CD-Produktion der Hamburger Musiker. Unter dem Label "New Classic Colours" herausgebracht, ist sie eine CD der besonderen Art. Im CD-Player macht sie Musik. In den Computer gesteckt, enthüllt sie zusätzlich die Video-Sequenzen, Bilder und Texte ihres digitalen Unbewußten. "Metronopoly", ihr Titel-Stück, entführt, wie der Name ahnen läßt, in den Irrgarten fugierter minimalistischer Polyphonie. Doch vergeht kaum ein Stück der String Thing, in dem nicht breit und volltönend ausgesungene Melodiebögen die klassische Schulung der studierten Musiker hörbar machten. String Thing transportiert Musikstile in unsere Zeit: Bruckner im U-Bahnschacht.

Am vergangenen Donnerstag gastierte String Thing im Keller des Erfurter Jazzklubs. Am Freitag leiteten sie in Ilmenau einen Improvisationsworkshop für Kinder. Am Samstagabend konzertierten sie im südthüringischen Schmalkalden.

Cornelie Becker