Die Kulturalisierung des Kulturellen

Arbeiten von Ulrike Rosenbach im Kunsthaus Erfurt

Mit Ulrike Rosenbach stellt das Erfurter Kunsthaus seit dem 24. Juli eine Künstlerin aus, deren multimediale Arbeiten sich gleichermaßen durch ihre ästhetische Eindrücklichkeit wie durch einen hohen Grad an intellektuellem Gehalt auszeichnen. Die 1943 in Salzdetfurth geborene, an der Düsseldorfer Hochschule für Bildende Künste zur Bildhauerin ausgebildete Meisterschülerin von Joseph Beuys trat Anfang der 70er Jahre mit ersten Videoarbeiten und Aktionen hervor, erregte rasch die Ausmerksamkeit der internationalen Kunstszene (Videoperformance "112 Greenestreet", New York 1973) und war bereits 1977 auf der Documenta 6 in Kassel mit einer Videoskulptur vertreten. Lehraufträge in den USA (1973-76), die Gründung der "Schule für kreativen Feminismus" Köln (1976) sowie internationale Kunstpreise und Arbeitsstipendien gingen einer Professur für neue künstlerische Medien voraus, die Ulrike Rosenbach seit 1989 innehat.

Bestimmende Thematik im Werk Ulrike Rosenbachs sind alle Spielarten der Transformation. Körperliches Werden und Vergehen, metaphorische Tode, die Vergeistigung des Materiellen und die Materialisierung geistiger Gehalte werden vor dem Hintergrund mystischer wie zenbuddhistischer Lehren immer wieder in Bildern und künstlerischen Aktionen nachvollziehbar gemacht. Eine verfremdende Inszenierung der (eigenen) Körperlichkeit dient Ulrike Rosenbach dabei als haupt­sächliches künstlerisches Werkzeug, um die Wechselspiele in der Kulturalisierung des Natürlichen und der Ontologisierung kultureller Codierungen zu verdeutlichen - und damit schon zu unterlaufen.

So zeigt die Ausstellung im Kunsthaus u.a. mit dem zwölfteiligen Fries "Mad Dance" die fotogra­fisch eingefrorenen Bewegungen einer solchen Körperinszenierung: 1994 hatte Ulrike Rosenbach im Rahmen einer Performance den rituellen Tanz der islamischen Sufis in die Mauern des Londoner Klosters Clerkenwell getragen. Neben einer produktiven Spannung, der beide religiöse Kulturen mit ihren Symboliken dadurch ausgesetzt wurden, diente dieser Derwischtanz der Künstlerin selber dazu, den kulturell fixierten Bedeutungsbestimmungen körperlichen Ausdrucks zu entkommen und einen neuen Weg der Selbst-Hervorbringung zu beschreiten: Das Kunstwerk selbst wurde zum "rite de passage", zum Übergangsritus, der Künstlerin wie Betrachter im Nach­vollzug des Werks verwandeln kann.

Den kulturwissenschaftlichen Gender-Studies verdanken wir die Einsicht in die Performativität, d.h. ausschließlich kulturelle Bestimmtheit unserer Geschlechtsidentität: Die sozialen Rollen, biologisiert und vom Kulturellen ins Quasi-Natürliche transformiert, sind von jedem Individuum immer neu in "perfomativen" (Sprech)Akten hervorzubringen - oder eben auch zu subvertieren. So wird die "Performance" zum 'Königsweg' der künstlerischen Aktion, in der die performative Matrix der eigenen kulturellen Identität neu überschrieben werden kann. Wie Kai-Uwe Schierz in seiner Einführungsrede formulierte, schöpft Ulrike Rosenbach aus dem Reichtum der kulturellen Überlieferungen der Welt, "interpretiert die Facetten des kulturellen Gedächtnisses vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungen und komponiert daraus suggestive Handlungen, die in der enthaltenen Bildsymbolik Weltdeutung sind und als realzeitliche und realräumliche Bewegung ebenso auch Vollzug eines exemplarischen Seins."

Die Ausstellung ist noch bis zum 29. August zu sehen. Bücher und Kataloge zum Werk Rosenbachs liegen zum Verkauf und zur Einsicht vor.

Cornelie Becker-Lamers

 

Der hier wiedergegebenen Text erschien in gekürzter Fassung unter dem Titel "Eingefrorene Bewegungen" zuerst in der Thüringer Allgemeinen (TA) vom 8. August 1998.