Kostbarkeiten aus Glas. Werkschau des Thüringer Künstlers Wolfgang Nickel im Funktionsgebäude des Thüringer Landtags

Groß sind die Geheimnisse um die Glasverschmelzung und Glasverformung, um Glasmalerei und vitrale Bildgestaltung. Die Sichtbarmachung des Unsichtbaren - des Lichtes durch seine Brechung in Farben, des Glases durch die Reflexionen in seiner Verformung - entfaltet eine spirituelle Kraft, die seit dem Mittelalter vor allem den sakralen Raum erfüllt. Längst hat sich Wolfgang Nickel - und zwar ganz unabhängig von der kunsthandwerklichen Tradition im Thüringer Wald - mit seinen Kunstwerken aus Glas international einen Namen gemacht. Davon zeugt nicht nur die Auswahl seiner Arbeiten für die documenta 13 in Kassel, sondern auch seine Ausstellung in Chartres, einem Zentrum der Förderung zeitgenössischer Glaskunst.

Die Faszination, die von den Werken Wolfgang Nickels ausgeht, speist sich aus mehreren Quellen. Die Grundlage ist selbstverständlich die künstlerische Perfektion, die Wolfgang Nickel in seinem Studium der Malerei und Grafik auf Burg Giebichenstein Halle zur Reifung bringen konnte. Sein Können befähigt ihn, tatsächlich mit Glas in Glas zu zeichnen und zu malen: Mit zerstoßenem Buntglas oder Farbpigmenten, die in jeder Farbschicht gesondert in die vorbereitete Form - Flachglas oder reliefartig strukturiertes Glas - eingebrannt werden, bannt Nickel charaktervolle Physiognomien, typische Gebäudegrundrisse, Pflanzen oder Schrift - ganze Gedichte wie in der "Rilke"-Serie (2015), biblische Texte für ein Kirchenfester (2004) - in die mal spiegelnde, mal durchscheinende Fläche. Die Dreidimensionalität der Wandarbeiten, die ein Rahmen auf zentimeterweitem Abstand zum weißen Hintergrund hält, erhöht den Reiz der Darstellung, wenn die Glasmalerei im Sonnenlicht farbige Schatten auf den Bildhintergrund wirft und die Zeichnung sich mit ihrem eigenen Schatten überlagert. Die Mehrfachbemalung des Flachglases, das heißt die buchstäbliche Vielschichtigkeit der Werke, vertieft die Stimmigkeit der Bildaussage, wenn mehrere überblendete halbtransparente Zeichnungen sich zu einer komplexen Erzählung ergänzen. Erscheint dasselbe Motiv auf Vorder- und Rückseite der Glasplatte, verschwimmen die Konturen wie im Weichzeichner. Die erotischen Inhalte der "Lustgarten"-Serie (2017) finden im verbergenden Zeigen der zur Deckung gebrachten Bildebenen so ihre formale Entsprechung.

Die Ausstellung "Kostbarkeiten aus Glas" im Thüringer Landtag vermittelt einen umfassenden Einblick in das Schaffen Wolfgang Nickels, indem die originalen Glasgemälde durch großformatige Fotografien seiner Kirchenfenster, baubezogene Kunst und skulpturale Arbeiten aus Glas ergänzt werden.

Dr. Cornelie Becker-Lamers, Weimar

Der Text erschien im Faltblatt und in der Einladung zur Ausstellung.