"unikum - unikat: Das goldene Zeitalter"
Rede zur Ausstellungseröffnung
Kunsthaus Erfurt, 3. Dezember 1999
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde,
„Aurea prima sata est aetas quae vindice nullo“. Wer Lateinunterricht in der Schule genossen hat, dem kommt diese Zeile für gewöhnlich zu den Ohren heraus: „Golden ist das erste Zeitalter, dem kein Rächer ward“. So beginnt der römische Dichter Publius Ovidius Naso – besser bekannt schlicht als Ovid – seinen Götterreigen Metamorphosen, eine Reihe von Verwandlungsgeschichten, die den gesamten Erdkreis und alle Zeitalter umfassen und ihren Kern in mythologisch-hintergründigen Geschichten einfangen soll.
Golden war das Erste Zeitalter. Ovid greift hier auf ein zu seiner Zeit bereits geläufiges Bild zurück, das vier Jahrhunderte zuvor der griechische Philosoph Hesiod der mündlichen Überlieferung abgelauscht und ausformuliert hatte: Erträumt wird hier, was in allen Religionen, Mythologien und Weltdeutungssystemen bis hin zur Psychoanalyse den Ausgangspunkt der Menschheitsgeschichte bildet: ein paradiesischer Zustand vor der geschichtlichen, gemessenen Zeit, ein Zustand der glücklichen Zeitlosigkeit, in dem alle Menschen friedlich und gut im Einklang mit ihren Nachbarn und mit der Natur lebten. Es gab, in diesem Goldenen Zeitalter, keine Untaten, daher auch keine Rache, keinen Grund für Krieg und Schlägereien, es herrschte kein Mangel, kein Neid, kein Zeitdruck und kein Streben nach einem anderen, verbesserten Zustand. „Wohlstand“ – ein Wort, das uns in den Assoziationen zum Goldenen Zeitalter in den Gedankenblasen von Sabine Sauermilch begegnet – „Wohlstand“ herrschte insofern, als Wohlstand bedeutet: Man hat alles, dessen man bedarf. Wer ohne Bedürfnisse in paradiesischer Unschuld lebt, lebt im Wohlstand.
Es ist wie gesagt ein bekanntes Gedankenkonstrukt, ein besseres „Es war einmal“ zu entwerfen – das System der Psychoanalyse noch tut es, indem es das Neugeborene als glücklichen, weil guten und guten, weil glücklichen Menschen entwirft, dessen seelisches Gemüt noch nicht durch den Eingriff der Erziehung und der Gesellschaft deformiert, zerstört, eingeengt und sich selbst entfremdet erscheint. Die höhere, intuitive Weisheit, die dem paradiesischen Zustand aufgrund der größeren Gottesnähe zugeschrieben wird, ist ebenfalls Bestandteil der Idee vom Goldenen Zeitalter und begegnet uns in dem Zeit-Alter-Ego-Baldachin von Mechthild Oehler: Auf dem Grunde einer langen Säule befindet sich ein Spiegel als Symbol von Weisheit und der Selbsterkenntnis.
Der Traum von der besseren Vergangenheit entspringt einer Unzufriedenheit mit der Gegenwart, die sich auch in die Hoffnung auf eine bessere Zukunft kleiden kann: Im Mittelalter entwirft die Philosophie der Chiliasten ein Goldenes Zeitalter, das man in naher Zukunft erwartet. Man lebt um das Jahr 1000 nach Christi Geburt und erwartet die Wiederkunft des Heilands. An diese Wiederkunft Christi wäre dann das Anbrechen der Gottesherrschaft geknüpft, die wiederum 1000 Jahre dauern würde. Gerechtigkeit würde herrschen, und die guten Seelen würden im Himmlischen Jerusalem das Angesicht Gottes schauen, ohne Mangel, ohne Schmerzen, ohne Zeit.
Nun – die 1000 weiteren Jahre sind um, und ich glaube, wir sind uns alle einig, daß es damals offenbar doch nicht geklappt hat mit dem Anbruch der Gottesherrschaft. Wir leben immer noch und immer aufs Neue in einer verbesserungswürdigen alltäglichen Gegenwart.
Und thematisieren den Traum vom Goldenen Zeitalter. – Warum eigentlich „golden“? Warum wird die bedürfnislose, zeitlose, paradiesische Vorzeit ausgerechnet mit dem Attribut des Goldenen belegt? Identifiziert doch Gunter Lerz in seinem Schrein der sieben Todsünden aus heutiger Sicht das Gold ganz richtig eher als Motor von Hass und Habgier, Eitelkeit, Neid und Mord. Richard Wagner läßt in seinem Opernzyklus Der Ring des Nibelungen bekanntlich den unglücklichen Verlauf der ganzen Weltgeschichte ebenfalls beim Raub des Rheingoldes seinen Ausgang nehmen: Der verfluchte Ring, der aus dem Rheingold geschmiedet wird, gibt seinem Besitzer zwar in der Tat die Macht über die Welt, aber zu welchem Preis? Wer den Ring hat, ist ständig in Sorge, seiner beraubt zu werden, und wer den Ring nicht hat, dessen Gedanken kreisen unablässig nur um die Frage, wie er zu erlangen sei. – Warum also Gold als Attribut des friedlichsten aller Zeitalter?
Knaurs Lexikon der Symbole gibt darüber Aufschluß, warum der Begriff „Edelmetall“, mit dem man das Gold bezeichnet, eigentlich eine „moralische“ Bewertung dieses Materials ist. Man war sich in früheren Zeiten durchaus im Klaren, daß das Gold aus praktischer Sicht keinen Wert hat und nicht im eigentlichen Sinne nützlich ist. Für Werkzeuge ist es ein viel zu weiches Material, es kann nur schmückende Funktion übernehmen. Aber es ist rein. Und es ist schön. Wie die Götter. Und wie das Licht der Sonne. Im Lateinischen schlägt sich diese innere Verwandtschaft noch in der Sprache nieder: Aurum heißt das Gold, Aurora – wie ein Bild von Katharina Häfner – das goldene Licht der Morgenröte. Byzantinische Ikonen und die Tafelbilder der mittelalterlichen Kunst sind goldgrundig, um das Himmelslicht und die Vollkommenheit Gottes zu versinnbildlichen.
In fast allen alten Kulturen steht das Gold symbolisch für die Sonne und abgeleitet davon für das Leben, das nur durch die Wärme des Sonnenlichtes ermöglicht wird. Bei den Ägyptern steht die goldene Farbe deshalb für den Sonnengott Re – und für den Weizen, der die Grundlage für das Überleben des ganzen Volkes bildet. Die Goldenen Äpfel aus dem Garten der germanischen Göttin Freya ermöglichen den Göttern die ewige Jugend: Nur weil sie Freyas Äpfel haben, sind die germanischen Götter unsterblich. Vom Baum des Lebens holt die griechische Sagengestalt Jason das Goldene Vlies. Toten gab man in vielen Kulturen reiche Goldschätze mit ins Grab, um sie für ihr Leben im Jenseits zu schmücken.
Doch auch hier auf Erden sollte das Gold seine lebensspendenden Heilkräfte entfalten: Heilkräuter wurden mit goldenen Harken aus der Erde gegraben, um ihre Heilkraft nicht durch die Berührung mit unreinerem Material zu schwächen. Neugeborenen legte man, dem Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens zufolge, goldene Ringe in die Wiege, um sie vor dem Einfluß von Schadenszauber zu beschützen. Gold beschert Fruchtbarkeit und langes Leben, Paracelsus heilt mit ihm von der Gelbsucht. In Schlesien trugen Bauern goldene Ringe im Ohr, um Mittelohrentzündungen – „Eiterfluß des Ohres“ – und Rheumatismus vorzubeugen. Schiffe kehrten gut von der Fahrt zurück, so glaubte man, wenn ein goldener Ring unter dem Mast lag, und wenn eine Bäuerin bei der Aussaat einen goldenen Ring trug, sollte die Saat gut tragen.
Und so weiter und so weiter. Sie sehen aus diesen Beispielen, denen man noch seitenweise Belege hinzufügen könnte, daß das Gold nicht immer mit irdischer Begehrlichkeit verbunden war, sondern für Leben, Heilkraft, Nahrung und die Vollkommenkeit und Bedürfnislosigkeit der Götter stand. Heute erhofft man sich mit Geld dies alles erkaufen zu können, vor allem freie, ruhige Zeit. So geizt man mit seiner Zeit, denn Zeit ist angeblich Geld, um sich Zeit zu erkaufen. Deshalb bedankt sich das Kunsthaus am heutigen Abend auch für die Zeit, die Sie uns schenken, mit einem Gegengeschenk, nämlich der Möglichkeit, in Kunstwerke zu investieren: Legen Sie Ihre Zeitpfennige in einer Aktie an, die Ihnen ein ewiges Kunstwerk im nächsten Jahr näher bringt.
Vielen Dank!
Cornelie Becker-Lamers