„Günter Ullmann. Malerei und Kleinplastik. Spirituelle Felder und morphische Resonanzen“
Rede zur Ausstellungseröffnung
Galerie Profil, Weimar, Samstag, 26. Juli 2008
Sehr geehrte Damen und Herren,
nachdem wir vor sieben Wochen die Skulpturenausstellung mit den Werken Günter Ullmanns eröffnet haben, die nach wie vor im Stadtraum und im Dorotheenhof Schöndorf zu sehen ist, wenden wir uns ab heute vor allem der Malerei des Künstlers zu. Elke Gatz-Hengst hat wieder eine großartige Konzeption erarbeitet, die die Entwicklungslinie des Ullmannschen Schaffens mit geradezu verblüffender Evidenz hervortreten lässt.
Lassen Sie mich zunächst die Biographie Günter Ullmanns zusammenfassen: 1946 in Meerane geboren, lernte er Mitte der 60er Jahre als Seefahrer Afrika und Mittelamerika kennen, entschied sich dann aber für ein Studium der Museologie, das er Ende der 60er Jahre in Leipzig abschloss. Anfang der 70er Jahre, während er bereits im Armeemuseum Dresden für die Abteilung Kunst und Dokumentation zuständig war, absolvierte er außerdem ein Fernstudium im Fach Geschichte an der Humboldt-Universität Berlin. 1974 übernahm er die Leitung von Museum und Kunstsammlung Schloss Hinterglauchau. Weil er hier 1976 zum 50. Geburtstag Gerhard Altenbourgs eine Ausstellung zu dessen Werk zeigte, wurde ihm die Direktion entzogen und jegliche Tätigkeit im kulturellen Bereich untersagt. Eine Phase autodidaktischer Beschäftigung mit Malerei und Bildhauerei setzte ein, die durch die Ausbürgerung aus der DDR 1980 eine jähe Zäsur erfuhr. Ullmann zog mit seiner Familie nach Düsseldorf, arbeitete in der Restaurierungswerkstatt seiner Frau mit und wurde schließlich 1985 Mitglied des Berufsverbandes Bildender Künstler NRW. Arbeiten auf Papier stehen im Mittelpunkt seines Kunstschaffens, bis die Malerei um die Mitte der 90er Jahre von der Skulptur abgelöst wird.
„Spirituelle Felder und morpische Resonanzen“. Wenden wir uns zunächst der Begrifflichkeit des Ausstellungstitels zu, denn sie verrät den geistigen Hintergrund, der Ullmanns Schaffen vorantreibt. Der Terminus des „morphischen Feldes“ wurde von dem 1942 in England geborenen, promovierten Biologen Rupert Sheldrake geprägt. Keine Angst – es folgt nicht noch eine Biographie! Im Laufe seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit in der Entwicklungsbiologie, die Sheldrake um das Studium von Pflanzenwachstum und formbildende Ursachen in der Natur kreisen ließ, entwickelte Sheldrake in den frühen 80er Jahren die These des morphischen Feldes. Mit morphischem Feld meint Sheldrake – und mit ihm Günter Ullmann – ein Gedächtnis der Natur, das verantwortlich sein könnte für die Bildung von Strukturen, verantwortlich sein könnte für die immer gleiche Entwicklung von Zellspezialisierungen, wie sie in der Entstehung der Lebewesen zu beobachten ist. Naturgesetze sind demnach schlicht Gewohnheiten der Natur. Sheldrakes Thesen werden, wie Sie sicherlich schon vermuten, als pseudowissenschaftlich abgetan, von der scientific community im allgemeinen – außer von den Quantenphysikern. Wer sich mit mikrophysikalischen Vorgängen befasst, findet die Naturgesetze der Newtonschen Physik außer Kraft gesetzt. Hier werden Sheldrakes Überlegungen ernst genommen als mögliche Brücke zur Erklärung von Phänomenen, die der herkömmlichen Physik rätselhaft bleiben müssen.
Dass Ullmann sich mit den Problemen der Quantenphysik auseinandersetzt, ist den verschiedenen mit Superstrings betitelten Skulpturen abzulesen – darüber haben wir im Juni im Dorotheenhof gesprochen.
Was aber haben Sheldrakes Theorien mit Ullmanns Malerei zu tun? – Fangen wir in der Mitte der Entwicklungslinie an, die Ullmanns Arbeiten nehmen: Sehen wir die mit Morphische Reflexionen betitelte Zelle aus dem Jahr 1997. Es ist eine überarbeitete Monotypie, das heißt: zufällig – durch Farbauftrag, Papierstrukturen etc. – zufällig entstehende Linien und Formen werden mit feinem Pinsel nachgemalt, eingekreist, hervorgehoben, verstärkt. Es scheint, als würde hier bewusst nachgeahmt, wie die Natur mit Mutationen verfährt: Auch Lebewesen, Arten und Gattungen entwickeln sich, indem zufällige Abwandlungen entstehen und das besser Funktionierende verstärkt, betont wird und sich am erfolgreichsten fortpflanzt. So sind es auch in Ullmanns Morphischer Reflexion ganze Reihen – man möchte sagen: Familien – von gleichförmigen Kleinstgestalten, die im Bild aufeinanderfolgen: die Gruppen kleiner Kästchen untereinander, die Bündelungen von verdickten schwarzen Strichen etc. Daneben immer wieder Mutationen, die sich nicht erfolgreich in der Welt dieses Bildes behaupten.
All das kommt aus dem Wasser (man spricht da übrigens von der Artenexplosion im Cambrium vor 500 Millionen Jahren) – auch dies im Werk Günter Ullmanns ersichtlich: Oben im Bild die Schlieren deuten auf Wellen und Gewässer hin. Da die gestalteten Formen nach unten hin immer größer werden, könnte man beinahe eine Zeitachse neben der Zelle anbringen, die die zeitliche Richtung der Evolution andeuten würde.
Die Zelle also: eine Studie in bildkünstlerischer Morphologie. Das Bild leistet aber noch mehr: Es heißt schließlich Morphologische Reflexion. Und in der Tat finden sich, wie in der Doppelhelix unserer DNA, die Formengruppen an einer leuchtenden Mittelachse gespiegelt. Ullmanns Arbeit reflektiert also nicht nur biologische Theorien, sondern auch innerhalb des Bildes selber führt eine Reflexion eine gespaltene Form in sich selbst zurück.
Woher kommt diese Mittelachse? Sie haben es bemerkt: Die Mittelachse führt zum Beginn der Entwicklungslinie der morphischen Reflexionen, zum Tor der Ferne, das in Ullmanns Schaffen in der Fläche des Gemäldes wie auch als dreidimensionale Figur begegnet (am Goetheplatz steht eine der Studien zu einer Tor der Ferne-Skulptur). Das Tor der Ferne liefert die Spiegelachse so vieler folgender Bilder zunächst in Reinkultur: der strahlend helle Spalt auf blauem Hintergrund. Hier ist das Tor der Riss, durch den ein Geheimnis erblickt wird, es ist das überirdische Licht am Ende eines Tunnels, von dem klinisch Tote berichten, wenn sie noch einmal ins Leben zurückkehren. All die Geheimnisse und Möglichkeiten von Linien, Farben und Formen, die spätere Bilder entfalten, sind im „Tor der Ferne“ noch den Visionen und Phantasien des Betrachters anheim gestellt.
Deutlicher werden die dann bereits mit Morphologischen Reflexionen betitelten drei Bilder aus dem Jahr 1994, die ich für mich selber gerne als „Mandorla“ bezeichne: In den getropften Bildern, die die Osmose von Zellen greifbar machen zu wollen scheinen, ist die senkrechte Mittelachse wiederum deutlich erkennbar. Der Spalt aber, das Geheimnis, der Ursprung der Welt ist von einer mandelförmigen Gloriole umgeben. Wie eine Christus- oder Marienfigur der sakralen Kunst umgibt den Spalt eine Aura, die in der sakralen Kunst seit anderthalb Jahrtausenden eine klare Bedeutung transportiert. Das „Tor der Ferne“ wird hier als heiliger Ort markiert.
Der nächste Schritt sind die Bilder, die wir schon besprochen haben: die als Zellen eingefassten Reflexionen von nun immer klarer definierten Formengruppen.
Und was folgt dann: Sie ahnen es – in der Fläche geht es kaum mehr weiter. Und folgerichtig wendet sich Günter Ullmann in der Mitte der 90er Jahre mehr und mehr der Skulptur zu. Die Formen springen aus den Bildern heraus in die dritte Dimension. Was als Ahnung des Betrachters begann, steht ihm nun eigensinnig gegenüber – ein phantastisches Bild der Entstehung von Leben!
Die Formen Günter Ullmanns also sind jetzt frei. Aber wie steht es mit uns? Günter Ullmann ist getrieben von dem Wunsch, durch die Kunst sich und andere aus der Bewusstseinsbeschränkung unserer materialitätsfixierten Welt los zu kaufen. Er will uns die eigenen Kräfte wieder entdecken lassen, die für jeden von uns Wirklichkeiten jenseits der sogenannten Realität zum Vorschein bringen können. Alles hängt mit allem zusammen, davon ist Ullmann zutiefst überzeugt – und er folgt auch hierin wieder Rupert Sheldrake. Die Welt besteht aus Schwingungen, doch wir versuchen beständig, den schmalen Pfad der materialisierten Wirklichkeit festzutreten, zu fixieren und zu markieren. In unserer Angst, fehl zu treten, verschließen wir die Ohren vor dem Gelächter des Lebendigen, das aus der Tiefe von Tausenden von Generationen in unsere Zeit herüberdringt.
Dies ist die letzte, unerwartete Spiegelung, die sich in den Morphischen Reflexionen Günter Ullmanns verbirgt: Uns selbst hält er den Spiegel vor. Die ersten Tore der Ferne erinnern mich immer an einen Spruch meines Vaters, dessen Doppelsinn sich mir erst viel später erschlossen hat: „Mach die Augen zu, dann siehst du, was dir gehört!“
Vielen Dank!
Dr. Cornelie Becker-Lamers, M.A., Weimar