„Sybille Pattscheck - Farbobjekte“
Rede zur Ausstellungseröffnung
Kunsthaus Erfurt, 2. Mai 1997
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
zwei Lesarten gibt es für Sybille Pattschecks Bilder. Eine ‘heiße’ und eine ‘kalte’. Sie entspringen gegensätzlichen Zugangsweisen zur Kunst und sind doch heute beide gleich angemessen, gleich ‘richtig’ und logisch vor dem Hintergrund einer Kunstgeschichte, deren Innovationsdruck uns seit der klassischen Avantgarde eine solche Fülle unterschiedlichster Kunstprodukte gleichzeitig beschert, daß jedem Urteil über ein Werk die Bestimmung des Kontextes vorausgehen muß, in dem man es betrachten und bewerten will.
Sybille Pattscheck wurde 1958 in Wesel geboren und studierte zwischen 1980 und 1986 an der Münsteraner Zweigstelle der Kunstakademie Düsseldorf bei Ulrich Erben und Ulrike Rosenbach. An den Studienabschluß schloß sich ein Atelierstipendium der Stadt Münster und 1988 ein Arbeitsstipendium des Kultusministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen an. Nach Ausstellungsbeteiligungen im Kunstmuseum Düsseldorf, in Bochum, Wolfsburg, Lüdenscheid und Kloster Frenswegen bei Nordhorn sowie einer ersten Personalausstellung in der Hamelhalle Münster wird die Arbeit Sybille Pattschecks 1987 mit dem Förderpreis des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe ausgezeichnet. Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen folgen in Zürich, in der Kunsthalle Recklinghausen, im Karl-Osthaus-Museum Hagen, in Marl, Krefeld, Bielefeld, Mönchengladbach, Ahlen, Olmütz/ Tschechien, in Gelsenkirchen, Wesel, in der Abtei Liesborn, und immer wieder im wichtigsten Kunstpflaster der Bundesrepublik (vielleicht sogar Europas), in Köln, wo Sybille Pattscheck seit 1989 lebt und arbeitet.
Zwei Zugangsweisen also scheinen mir Sybille Pattschecks Werke zu erschließen. Beide sind nicht unabhängig von der künstlerischen Technik, die Pattscheck sich für ihre Objekte gewählt hat: Sie arbeitet in der Technik der Enkaustik. Wachs, darin besteht die Enkaustik, wird mit Farbpigmenten vermischt mit einem breiten Pinsel rasch auf Leinwand oder Holz aufgetragen. Farb- und Wachsschichten überlagern sich in den verschiedenen Arbeitsgängen, in denen das Werk reift. So entstehen Wandobjekte, die bei aller greifbaren Plastizität eine eigenartige Virtualität bewahren. Die monochrom scheinenden Bilder beginnen bei näherem Hinsehen zu schillern und ihre ungewöhnliche Licht- und Farbintensität als Überlagerung der verschiedenen halbtransparenten Schichten von Farbpigmenten und durchscheinendem Wachs zu offenbaren. Was so einfarbig-einfach und greifbar schien, entpuppt sich als kaum entschlüsselbare, kaum auflösbare Überlagerung nicht mehr zählbarer Schichtungen von Farben mit je eigenem Ausdrucksgehalt.
Kulturhistorisch reicht die Entstehung der Enkaustik in die griechische und ägyptische Malerei zurück. Römische Kopien klassisch griechischer Kunst ließen, so schreibt ein Lexikon, „etwas ahnen von dem Schimmer des Lichtes, der Weichheit der Modellierung und der Glut des Ausdrucks, die die [griechischen] Originale [durch die Enkaustik-Technik] auszeichneten.“ Erhalten sind heute aus der antiken Kunst enkaustische Portraits auf ägyptischen Mumien, also aus dem Totenkult. Im 20. Jahrhundert wird die Enkaustik durch Jasper Johns wiederbelebt, für den diese Technik, so Thomas von Taschitzky im hier vorliegenden Katalog zu Sybille Pattscheck, explizit die Möglichkeit war, seine „persönliche Handschrift zurückzudrängen und seinen Bildern Distanziertheit und Objekthaftigkeit zu verleihen.“
Damit sind beide Felder umrissen, innerhalb derer Sybille Pattschecks Werke verständlich werden. Einerseits nämlich könnte ich mir hier einen Betrachter vorstellen, der, angezogen vom betörenden Duft des erkalteten Wachses, sich verlieren würde in den irisierenden Nuancen einer variierenden Farbigkeit, deren Überlagerungen ihm ein Bild von so massiver Präsenz und zugleich so seltsam unwirklicher Transparenz vor Augen rückten. Der vollständig fehlende mimetische, abbildhafte Bezug des Bildinhalts zur äußeren Welt würde diesem Betrachter ein Sich-Vertiefen in die Ungegenständlichkeit des Werkes ermöglichen, und versunken in diese Leerstelle des monochromen Bildes begänne er zu träumen vom Geheimnis des Lebens. Der „Blick auf Rot“, der „Blick auf Blau“, wie Arbeiten Sybille Pattschecks betitelt sind, dieser Blick würde zur mystischen Schau - visio lateinisch -, zur visionären Welterkenntnis, die tiefer reicht als die Vernunft. Der Hauch nicht einfangbarer Farbschattierungen verleihen den Bildern Sybille Pattschecks die Aura des Sakralen, die man der Kunst im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit ein für allemal verloren glaubte. In der Versenkung nämlich in die Ungegenständlichkeit ermöglichten die Arbeiten Sybille Pattschecks unserem Betrachter die ‘unio mystica’ der Verschmelzung dessen, was die Idee der Bilder mit der Idee unserer selbst verbindet. Dies also wäre die ‘heiße’ Lesart dieser Kunst.
Die andere, ebenso angemessene, wäre die ‘kalte’ Lesart eines Betrachters, der die Geschichte erzählen würde von der russischen Avantgarde, von Aleksandr Rodschenko, der 1922 das Ende der Malerei ausruft, verkündet, das letzte Bild sei gemalt, alle möglichen Formen mimetischen Ausdrucks von Innerlichkeit oder Naturnachahmung im kulturellen Archiv der Museen und Galerien aufbewahrt, und Bilder malen sei in Zukunft wie Wände streichen. Drei Monochrome Bilder Rodschenkos entstehen in dieser Zeit, in der auch Kasimir Malewitsch seinen Suprematismus der vollständig zurückgenommenen Malerei formuliert. Gegenstände, so die Avantgarde, habe die Kunst herzustellen, denn zu bewältigen sei die Welt der Dinge, nicht die Welt der Gedanken oder Gefühle. Die Zeitschrift, die als Sprachrohr dieser Avantgarde im Moskau der 20er Jahre kursiert, wird wjeschtsch genannt. Wjeschtsch heißt die Sache, das Ding. In der Neuen Welt, die es den Avantgardisten unter dem Eindruck von Russischer Revolution und Erstem Weltkrieg zu gestalten galt, habe die Kunst nicht als ästhetische Überformung der Welt schmückendes Beiwerk im Leben zu sein, sondern die Lebenswelt der Menschen durch die Kunst-Gegenstände mitzugestalten.
Im Einvernehmen mit den Prizipien auch der Konkreten Kunst, die in den 30er Jahren im westlicheren Europa aufkommt, würden die Bilder Sybille Pattschecks demnach nicht dulden, als abstrakte Kunst zu gelten. Denn sie abstrahieren nicht von der gegenständlichen Welt, sondern bringen die Welt, bringen die bildnerischen Mittel: den Raum, die Fläche, die Farbe, konkret und eigenständig als eizige Inhalte der Farbobjekte zur Geltung.
Für unseren ‘kalten’ Betrachter in der Tradition von Konstruktivismus und Konkreter Kunst bliebe ein Bezug der Bilder Sybille Pattschecks zur gegenständlichen Welt nicht aus. Vielmehr würde er sagen, jedes Bild sei ja doch Teil der gegenständlichen Welt. Der Graben zwischen Kunst und Leben sei überbrückt, die Trennung endlich aufgehoben, wenn Kunst - wie im Fall der Farbobjekte Pattschecks - als Installation farbiger Korrespondenzen Wege durch den Raum beschreiten ließen, den sie gestalten. Korrespondenzen würde dieser Betrachter suchen statt Kommunikation, Dialog - cor-respondere heißt, sich gegenseitig antworten - Dialog statt Vereinigung. Wir erinnern uns, daß Jasper Johns die Enkaustik als Kunstform gerade wählte, um seine „persönliche Handschrift zurückzudrängen und seinen Bildern Distanziertheit und Objekthaftigkeit zu verleihen.“
Es ist etwas Asketisches, vornehm Distanziertes in den Werken der Konkreten Kunst und damit in den Werken Pattschecks. Sie sind nicht ohne gesellschaftlichen Bezug, denn sie sind Welt. Sie enthalten sich aber jeder Referenzialität auf die eigene Innerlichkeit und begnügen sich mit einer rein innerkünstlerischen Aussage des Bildes, dessen kräftige Farben und zarte Nuancen, dessen ästhetische Geometrien und klare Flächenausschnitte an den Wänden Angebot genug sind für freizusetzende Gefühle.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Cornelie Becker