"Ohne Blau geht gar nichts."
Zu den aktuellen Arbeiten Astrid Albers
Vor vier Jahren hat sich die Arbeitsweise von Astrid Albers revolutioniert. Sie fing völlig neu an. Macht nun dichte, strukturierte Arbeiten, bei denen sich im Verlauf des Arbeitsprozesses nach dem Verlaufen der Farben figürliche und doch stark abstrahierte Bildinhalte aus dem schöpferischen Chaos des ersten impulsiven Farbauftrags herauskristallisieren. Läßt angearbeitete Leinwände liegen und überarbeitet sie noch nach Wochen, bis sie wirklich fertig sind und die Künstlerin die Bilder erkennt, die sich da aus Altgewußtem und Erinnertem unter dem Pinsel geformt haben. Erkennt und deuten kann: "Norden", "Erinnerung", "Die Erde erinnert sich" (alle 2015) "Das Wasser der Träume I und II" und "Die Geister erinnern sich" (alle 2016).
Häufig sind es landschaftliche Strukturen, die nach den ersten großen Bewegungen der verschiedenen Pinsel, nach dem Spachteln und Verteilen der Farbe durch die strukturgebenden künstlerischen Eingriffe in den Werkprozeß im Bild ihren Niederschlag finden: nach der großen Gischt ("Nordlichter" I, die ganze Werkreihe 2017) immer wieder Flußläufe, Felder, Pflanzen, Hügelketten und Himmel ("Nordlichter" II-IV; VII-VIII; X) Boote vielleicht oder Häuser ("Nordlichter" IX; "Amerika" 2016), Spuren des Menschen in der Landschaft. Verfremdet und völlig ins Formale aufgelöst, von unglaublicher haptischer Präsenz durch das Pastose des satt gespachtelten Farbauftrags dann "Nordlichter" V und VI, die sich durch ihre Zugehörigkeit zur Werkreihe aber ebenfalls mit Inhalt aufladen. Denn dies ist doch geblieben: Das Malen thematischer Werkreihen identischer Formate, die Arbeit für Arbeit den bald gewohnten Bildraum mit immer neuen Variationen desselben Themas ausschreiten. Als versuchte hier jemand, nicht Vorformuliertes zum ersten Mal auszudrücken. Als könnte sich hier jemand eben darum nur tastend verständlich machen. Als würde jemand sagen: "Ich formulier's nochmal anders ..."
"Das Wasser der Träume" gab den Anstoß zur "Nordlichter"-Reihe, deren Titel übrigens frei assoziiert ist und nicht auf die Himmelserscheinungen von Islands Aurora Borealis verweisen will. Nein, nicht der Himmel, sondern das Wasser scheint das Element zu sein, das sich in Astrid Albers' Malerei immer wieder an die Oberfläche spült: In den Flußlandschaften der "Weiten Reisen" I-V (2017), die den "Nordlichter"-Räumen das orange leuchtende "Amerika"-Gelb aus den glühenden Wüsten jenseits der Meere hinzufügen. Im "Blauen Raum", im "Beginn der Zukunft", dem "Wachstum" (2016) und in "Die Erde bewegt sich" (2015) scheint es das Wasser zu sein, aus dem alles Leben, Bewegung, Wachstum und Zukunft entspringen. Alles fließt, und schon in den "Kleinen Welten" I-X (2012) scheint sich alles indigene Leben direkt am Wasser abzuspielen: Zelte und Behausungen stehen dort, wir erkennen festlich geschmückte Menschen und ihre rituellen Tänze, wir assoziieren die alltägliche Arbeit mit dem Waschen am Fluß, in dem die Arbeitenden sich spiegeln. All das kann diese Werkreihe für einen Betrachter bereithalten, und immer scheint Wasser, scheint ein kleiner See, ein fließendes Gewässer im Vordergrund oder ein trennender Flußlauf in der Bildmitte ein ganz wesentlicher Teil der Darstellung zu sein.
Und noch die "Verwandlungen" I-XXII (alle 2018), die neueste, in hochkomplexen künstlerischen Verfahren entstandene Bilderfolge, ist ohne die Farbe Blau nicht zu denken. "Ohne Blau geht gar nichts", sagt Astrid Albers selber. Die "Verwandlungen" sind als Acryldrucke auf Bütten gefertigt, wobei die Künstlerin in einem weiteren Arbeitsschritt mit Ölkreide in den Druck hineinmalt. Formalere Arbeiten sind dadurch entstanden. Weiße Spuren - ein Stück bewußt unbedrucktes Papier - und schwarze Linien teilen streng abgegrenzte Farbflächen voneinander ab, und trotz aller Binnenstrukturierung dieser Flächen trennt unser Auge einzelne Farbfelder. Gerade Linien unterteilen das Bild, ich denke an Äcker und Wiesen. Hier läuft nichts ineinander oder umschlingt sich in quirligem Tanz. Eisblau ist das Blau, und kühle Pastelltöne beherrschen die Bildflächen: Fliederfarben und Veroneser Grün, Weißgrau und Hellgelb, hier und da ein bißchen Altrosa. In langen Strähnen stürzt ein Wasserfall zu Tal (XXII). Wenn es Küsten sind, die man sehen kann, dann sind es diesmal wirklich ganz nördliche. Hat so die Zukunft begonnen?
Nein, denn parallel dazu entstehen Aquarelle, die alterprobte Techniken zur Anwendung bringen und die altgewohnten Farben Astrid Albers' wieder aufstrahlen lassen: In feinen Ritzungen des Büttenpapiers wird der Fluß der Farben aufgefangen und klare organische Formen geben den kräftigen Farbtönen Kontur. Da erscheinen rote gelbe grüne blaue Früchte und Quallen wabern in freundlichen Wellen. Lianen scheinen die Bilder zu durchziehen und verbinden die Formen mit schmeichelndem Schwung.
Das Blau hält uns fest.
Dr. Cornelie Becker-Lamers
Der Text ist im Druck erschienen in: Astrid Albers, Aktuelle Arbeiten, hg. zur Ausstellung "Nordlichter" in Zusammenarbeit mit der Galerie Profil Weimar, Weimar o.J. [2018]