Neue . Skulptur . Weimar . 2014 . Biennale Weimar - Holzdorf . Beate Debus . Ulrich Eißner . Konstanze Feindt Eißner . Juli - September

Rede zur Ausstellungseröffnung

Park des Landgutes Holzdorf, 6. Juli 2014

Sehr geehrte Frau Miehe, sehr geehrte Frau Schmidt, noch einmal liebe Elke Gatz-Hengst, liebe Konstanze Feindt Eißner, liebe Beate Debus, lieber Ulrich Eißner, sehr geehrte Damen und Herren,

wir freuen uns, daß Sie alle mit herauf gekommen sind nach Holzdorf.

Vielleicht darf ich einleitend einige Worte zu diesem besonderen Ort verlieren. Das Landgut, das die Diakoniestiftung Landgut GgmbH im Kulturstadtjahr nach Vorlage ihres Nutzungskonzeptes übernehmen durfte, taucht zuerst im 13. Jahrhundert in den urkundlichen Erwähnungen als Rittergut auf. Es verfällt zwischenzeitlich, ist Ende des 19. Jahrhunderts in Besitz direkter Nachfahren Lucas Cranachs und wechselt noch mehrmals den Besitzer, bevor es 1917 - mitten im Krieg - von dem Mannheimer Fabrikanten Dr. Otto Krebs aufgekauft wird. Die Bahnlinie Weimar - Bad Berka, die das Landgut an beide Städtchen anbindet, existiert damals schon seit 30 Jahren. Mitten in der Weltwirtschaftskrise, zwischen 1923 und 25, kann Krebs das Haus zu einem Sommersitz umbauen, der den höchsten Ansprüchen genügt. Neben der Korrespondenz von Innen- und Außenanlagen, die das Gut zu einem wirklichen Gesamtkunstwerk machen, stattet er seine Räumlichkeiten mit Intarsienparkett und Decken aus Stuck und Bandeltechnik aus. Eine Ledertapete, übersät mit Blattgold-Lilien, kleidet die Wände eines Zimmers ein, ein anderes, das in einem runden Erker hier zum Garten schaut, ist lückenlos mit belgischen Gobelins behängt. Eine kleine Kapelle mit Ganzkörperschnitzfiguren der vier Evangelisten ist ganz mit Holzkassetten an Wänden und Decke ausgestattet. Es gibt eine Bibliothek, ein Musikzimmer, denn Krebs' zweite Frau war Pianistin, in der Parkanlage ehemals einen Musikpavillon und ein Schwimmbecken mit Badehaus, einen Steingarten mit alpinen Gewächsen, einen Rosengarten und und und - und vor allem Kunst, Kunst und nochmals Kunst. Krebs trägt in wenigen Jahren eine der größten privaten Sammlungen impressionistischer Kunst in Holzdorf zusammen - eine Sammlung, die er während der Nazizeit in den Tresoren des Hauses beläßt. Der Kunst an den Wänden korrespondiert die Kunst im Garten: Auf den Sockeln stehen bis weit nach dem Krieg Skulpturen von Edgar Degas, Aristide Maillol, Auguste Rodin, Ernesto de Fiori, oder Constantin Meunier, der runde Erker des Gobelinszimmers findet im Halbrund einer Mauer sein steinernes Echo, im Gegenzug zeigt der Fußboden des Erkers die Intarsienarbeit eines üppigen Blumenkorbes: Das Gut wird unter den Händen Krebs' zum Gesamtkunstwerk. Als Krebs 1941 stirbt und eine medizinische Forschungsstiftung zur Erbin seines Vermögens einsetzt, kann er noch nicht ahnen, daß die gesamte Gemäldesammlung trotz mutiger Interventionen Weimarer Museumsleute 1949 in die Leningrader Eremitage verschleppt wird. Sie bildet dort bis heute einen wichtigen Teil des musealen Schatzes. Die Erfurter Fachhochschule hat vor einigen Jahren ein Projekt angestoßen, im Rahmen dessen Studierende der Petersburger Kunstakademie 20 Kopien von Gemälden aus dieser Sammlung anfertigten und nach Holzdorf gaben. Die Kopien sind an jedem ersten Sonntag im Monat, so auch heute, in der Galerie in den historischen Schlaf- und Badezimmern des Ehepaar Krebs im ersten Stock des Herrenhauses zu besichtigen.

Die Skulpturen wurden nicht von der Besatzungsmacht mitgenommen, sondern kamen in die Berliner Nationalgalerie, die sie nach der Wende der Erbin - der medizinischen Stiftung des Dr. Krebs - zuführte. Die Stiftung entschied sich für die Versteigerung der Skupturen über das Auktionshaus Christie's. Die Kunstwerke werden also nicht nach Holzdorf zurückkehren. Einige Kunstschätze besitzt der Park - neben seiner Anlage, die ihm keiner nehmen kann - bis heute: Am Wasserbassin sind zwei liegende Kalksteinplastiken von Joseph Heise platziert, die mit Hilfe privater Spenden im vergangenen Jahr gereinigt werden konnten.

Es ist ein großes Verdienst der Diakoniestiftung, sich des Landgutes angenommen zu haben - eine Herkulesaufgabe, die schon weit gediehen ist und doch auch noch unendlich viel Arbeit vor sich hat. Und es ist ein großes Verdienst der gemeinschaftlichen Initiative der Galeristin Elke Gatz-Hengst von der Galerie Profil Weimar und der Diakoniestiftung, mit der heutigen Vernissage eine im Zweijahresrhythmus geplante, also regelmäßigen Reihe von Skulpturausstellungen zu eröffnen, die die Lücken der fehlenden Skulpturen in den Sommermonaten wiederum mit Kunst füllt und den Park und seine Geschichte verstärkt ins Bewußtsein der Weimarer Bevölkerung hebt. Herzlichen Dank dafür!

Betrachten wir nun endlich die Kunst selber, so starrt uns auf der Wiese dort ein wilder Gesell aus dem Atelier von Ulrich Eißner an. Was sage ich: Atelier - Labor sollte ich sagen. So klar verständlich, so schüchtern und bescheiden oder mit sich selbst beschäftigt uns die "Stützen der Gesellschaft" im Bahnhofsgebäude gegenübertraten, so aggressiv, fremdartig und verstörend wirkt, was uns hier in Holzdorf von Ulrich Eißner begegnet. Aus Polymerbeton - einem Material, das um einen Kern herum gespachtelt werden kann, die Plastik wird also wirklich aufgebaut, nicht gehauen oder gegossen - aus Polymerbeton aufgebaut, zeigen die armlosen Figuren überlange Körper, wie aus zwei Leibern zusammengesetzt. Wie eine Meerjungfrau, aber nicht nur ohne Beine, sondern auch ohne Arme, wirkt die Teilfigur des Paares "Der Kuss". Die Wucherungen der Wirbelsäule wirken erschreckend, erinnern sie doch an androide Filmfiguren des Science Fiction (ich denke an den Film "Species"), aggressive Gestalten, aus dem Weltall geschickt, um in der Larve des Menschen die Menschheit zu vernichten.

Dieselben Wucherungen oder kleinen Höcker des Rückens begegnen uns allerdings auch in etlichen Zeichnungen und Holzschnitten Ulrich Eißners und können dort eine völlig andere Wirkung entfalten. Es ist das Werk "Berührung", ein winziger Farbholzschnitt aus dem Jahr 2004, der seine Figuren ebenfalls mit dieser höckrigen Wirbelsäule zeigt und in seiner Innigkeit am ehesten einen Gegenpol zu dem gigantischen Paar hier auf der Wiese abgibt. Nein: Es ist nicht per se erschreckend, wie die Figuren aufgebaut sind und wohl auch nicht so intendiert. Die wulstige Wirbelsäule ist vielmehr wiederum der langjährigen Theaterarbeit von Ulrich Eißner geschuldet, die gerne auf starke Konturen und gute Sichtbarkeit setzt.

Von wiederum ganz anderer Ausstrahlung - in sich gekehrt und stumm - das Paar der "Besinnung" aus dem Jahr 2001 rechts und links des Weges. Die Übersteigerung der Geste des gesenkten Kopfes - die Köpfe der beiden sind förmlich nach vorne abgeknickt -, die die Verbiegung des ganzen Körpers nach zu ziehen scheint, zieht uns unweigerlich in den Bann der Werkaussage. Das plastische Werk findet sich vorgeprägt in einer wunderschön innigen Darstellung in Mischtechnik mit dem gleichen Titel - "Die Besinnung" - aus dem Jahr 2000, also ein Jahr älter als die Skulpturen. Ich denke, das Blatt muß als Vorarbeit, Entwurf oder Anstoß zu der plastischen Arbeit angesehen werden. Es zeigt die Figuren eng zusammengerückt, so daß die Verformung und Verbiegung des Rückgrates eher aus ihrem dichten Gegenüber und dem Ineinander ihrer Körper motiviert scheint als im Senken des Kopfes. Wie Baumstämme krumm wachsen, wenn sie zu dicht gepflanzt werden, so scheint die Verbiegung der Körper auf der Vorstudie zu diesem plastischen Werk darauf zu beruhen, daß die Körper im zu dichten Miteinander gleichsam umeinander herum gewachsen sind. Es wäre interessant zu sehen, ob dieselbe Wirkung entstehen kann, wenn man die Skulpturen enger zusammenrückte. So durch den Weg getrennt, wie sie stehen, ergibt sich als Werkaussage eine andere: Die intensive Besinnung auf sich selbst, das offensichtlich ganz versunkenen In-sich-Hineinhören der Gestalten bewirkt ihre Deformation, aus der eine Befreiung durch das Zugehen auf den anderen möglich erscheint. Es ist verblüffend, wie unterschiedlich, ja geradezu gegensätzlich Wirkung und Werkaussage derselben formalen Bausteine sein kann, je nachdem, in welchen Zusammenhang man sie stellt.

Dabei zeigt sich, was Ulrich Eißner selbst zum Prozeß seines Schaffens sagt: Er geht häufig nicht von einer Idee oder einem Inhalt aus, sondern von einer Form - manchmal schlicht der Verformung eines zufällig gebogenen Drahtes - eines Fundstücks aus seinem Atelier. Die Kontextualisierung der Form erst bringt den Inhalt hervor, der Zusammenhang, in den eine Figur gestellt wird, konstituiert die Werkaussage.

Kommen wir nun zum Werk von Konstanze Feindt Eißner. Es sind ihre Werke, die u.a. auf den originalen Sockeln stehen, die bis vor etwa 60 Jahren die Skulpturen Maillols oder Rodins trugen. Nun säumen Feindt Eißners "Atlas" und "Venus", "Das Mädchen mit Flügeln" und die "Aufrechte" den Eingang zum kleinen Garten. Es sind alles Sandsteinskulpturen mit jüngstem Entstehungsdatum, die uns Konstanze Feindt Eißner aus Dresden mitgebracht hat. Auch sie ist vielseitig in der Wahl ihrer Materialien und Techniken, nimmt man das seit 25 Jahren wachsende Gesamtwerk in den Blick: Da sehen wir Skulpturen und Plastiken aus Bronze, weißem, schwarzem oder feuerfarbenem Marmor unterschiedlichster Herkunft, aus Alabaster, Serpentin, italienischem Schiefer, aus Basaltlava, Porphyr, Steatit, Muschelkalk oder Sandstein sowie aus Keramik. Neben dem skulpturalen Werk hat Konstanze Feindt Eißner ein großes Œuvre an Radierungen und Zeichnungen geschaffen: Tusche, Pastell, Kohle, Mischtechnik mit Bienenwachsüberzug und einige Assemblagen.

Die Zeichnungen sind durchweg als auf wenige Striche reduzierte Charakterisierungen gehalten: Übers ganze Blatt sich schwingende Linien, die die Andeutung eines Kopfes mit dem Rumpf, den Rumpf in einem Zug mit den Beinen verbindet. Arme, im Tanz oder im Streit weit ausgestreckt, ein Kind haltend. Vor allem kommen die Zeichnungen nicht so konsequent ohne Augen aus, wie es uns in den Skulpturen auffällt. "Angst", "Dämonen", "Mißtrauen", "Abwehr", "Rückzug" sind sprechende Titel von Zeichnungen, die den im Titel beschriebenen Zustand ausdrucksstark vor allem durch die künstlerische Arbeit am Gesicht der Figuren ins Bild setzen.

Wie begegnen uns demgegenüber die Skulpturen? Wenn nicht aufgrund der Anlage als Torso eine Figur weitestgehend auf den Rumpf reduziert erscheint, haben die Gestalten kein Gesicht. Der ganze Gehalt einer Darstellung, der auch in den Skulpturen in den immer sprechenden Titeln angedeutet wird, muß durch die Künstlerin in der Körpersprache der Figuren zum Ausdruck kommen. Nehmen wir die "Aufrechte", die hoch aufgerichtet, mit erhobenem, ja zurückgeworfenen Haupt, die Schultern zurückgenommen und die Arme seitlich, fast etwas hinter dem vorgereckten Oberkörper gestreckt, die Hände zu Fäusten ballt, sie braucht kein Gesicht, um uns deutlich zu machen, daß wir es bei ihr mit einem unbeugsamen Willen zu tun haben, der die Welt nach den eigenen Vorstellungen ordnen wird. Das kaum auch nur angedeutete Gesicht verbietet jede Individualisierung der Figur, sie bleibt die Typisierung oder Personifizierung einer inneren Gestimmtheit, Identifikationsangebot oder Gegenüber für jeden und jede von uns.

Inhaltlich das ganze Gegenteil ist die "Implosion". Nicht in Ruhe, sondern erkennbar in katatoner Starre hockt eine Gestalt - nur an der Art, wie die Hüften ausgearbeitet sind als Frau erkennbar - die Arme über dem Kopf, den Kopf auf den runden Beinen, förmlich eingeigelt, macht sie sich so klein wie möglich und kehrt der Welt den Rücken zu. Das Wort Implosion deutet auf eine innere Leere, der Figur wurde offenbar das sprichwörtliche Herz aus der Brust gerissen, etwas ist irreversibel zerstört und entwendet worden. Die Kraft reicht nicht mehr aus, um sich aufzurichten, zu schauen, sich der Welt auszusetzen und auf die Welt zuzugehen - schon gar nicht für irgendeine Art von Aggression. Wie die Blumen sich im Winter in den Boden zurückziehen, so schottet sich diese Figur ab gegen alle äußeren Einflüsse, bis sie sich von innen heraus regeneriert hat: gesichtslos wiederum ein Identifikationsangebot für jeden von uns.

Wenn Konstanze Feindt Eißner Steinblöcke aussucht, die sie im Steinbruch oder im eigenen Atelier in Dresden bearbeiten möchte, hat sie nicht notwendigerweise schon ein Konzept oder eine neue Figur im Kopf. Eher beschreibt sie ihre Arbeit so, daß sie die Gestalt aus dem Stein befreit, die dort gewissermaßen schon drin steckt. Sie sieht einen Block und läßt die Form des unbehauenen Steins so lange auf sich wirken, bis sie die Gestalt sieht, die sie daraus machen kann. So geschieht es, daß unbehauene Teile des Steins in der fertigen Figur stehenbleiben oder natürliche Abbrüche die Form der fertigen Skulptur mitbestimmen. Solche Abbrüche sehen wir auch bei der "Implosion", wir sehen sie besonders gut in die Werkaussage integriert im "Mädchen mit Flügeln", wir sehen sie im Paar "Geborgen" am Arm des Mannes.

Eine künstlerisch besonders interessante Geschichte verbindet sich mit der "Gebrochenen", die in diesem Jahr eigentlich als Teil einer Doppelfigur entstanden ist. Thema der Paarskulptur war das Zerbrechen einer Beziehung, das unaufhaltsame Auseinanderstreben der Figuren, die nur noch an den Waden verbunden waren. Im Atelier stieß Konstanze Feindt Eißner, weil sie plötzlich abgelenkt wurde, die Figur um und sie zerbrach in die Teile, die wir jetzt in der "Gebrochenen" und dem "Flüchtenden" sehen. Die "Gebrochene" - zum Glück blieb der Torso heil und die Figur ließ sich aus den Fragmenten neu zusammensetzen - durch einen Unfall oder Zufall, den man bewußt nie so hätte herbeiführen können, hat die Skulptur zu ihrem wahren Ausdruck gefunden.

Wir laden Sie ein, die Skulpturen auf sich wirken zu lassen, den Funken überspringen zu lassen, der in den Gestaltungen steckt. Ich wünsche Ihnen eine schönen Nachmittag in diesem herrlichen Park und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Dr. Cornelie Becker-Lamers, Weimar