Zeichnungen und Fotografien von Klaus Nerlich und Dr. Gisela Nerlich-Kunzendorff
Rede zur Ausstellungseröffnung
Galerie Kunstraum, Weimar, 9. Mai 2008
Beim Wort Azoren fällt einem sofort das Azoren-Hoch ein. Was sich über der kleinen Inselgruppe mitten im Atlantik, an der Wetterscheide zwischen dem amerikanischen Kontinent einerseits und dem europäischen und afrikanischen Kontinent andererseits tut, ist entscheidend für unser Wetter – genauso wie der Golfstrom, die große inneratlantische Meeresströmung, entscheidend für unser gesamtes gemäßigtes Klima in Europa ist.
Die Azoren sind eine Inselgruppe, die sich immerhin über 400 km weit in ost-westlicher Richtung ausdehnt und zwischen anderhalb- und zweitausend Kilometer etwa in der Höhe von Lissabon im Atlantik liegt. Zu Portugal gehört sie denn auch nach wie vor, man spricht portugiesisch, die Sprache der Einwanderer, die ab dem 15. Jahrhundert begannen, die Insel zu besiedeln.
Aber was bedeutet eigentlich Insel? Tja, so kleine Inseln reichen selten weit über Meeresniveau hinauf – ein bisschen Land im Wasser eben. So nimmt man Inseln für gewöhnlich zunächst einmal wahr. Was man sich meist erst auf einmal Nachdenken hin klar macht, ist, dass Inseln eigentlich die Spitzen zum Teil sehr hoher Berge sind. Im Fall der Azoren heißen diese Berge Mittelatlantischer Rücken, und die Azoren sind dessen höchste Erhebung. Man muß also die Azoren nicht nur im Zusammenhang mit Portugal und einem südlichen Klima denken, sondern auch im Zusammenhang beispielsweise mit Island. Island ist den Azoren auf dem Mittelatlantischen Rücken benachbart. Da hier Kontinentalplatten aufeinander stoßen, ist die Erde hier vulkanisch sehr aktiv – und das sieht man auf den Azoren wie in Island gleichermaßen. Auch die Azoren sind geprägt vom fruchtbaren Vulkangestein, und auch auf den Azoren findet man rauchende Erdfelder und zischende heiße Quellen und Geysire. Die Erde ist an manchen Stellen permanent so heiß, dass die Einheimischen ihre Suppe in kleinen ausgehobenen Erdlöchern kochen können. Man spart so jede andere Energie ein.
(Als Gisela und Klaus auf den Azoren waren, hatten sie natürlich ein schönes kleines Anwesen mit Herd im Grünen und haben ordentlich auf dem Holzfeuer gekocht – zum Teil im offenen Feuer, das ist alles fotografisch dokumentiert.)
Zurück zu den Azoren: Ansonsten ist es selbstverständlich eine Inselgruppe mit südlichem Klima. Hier wächst Tee. Schöne weiße Calla stehen einfach auf der Kuhweide, die Wege sind von undurchdringbar dichten Hortensienbüschen gesäumt, Azalee und Hibiskus wachsen am Straßenrand wie hierzulande vielleicht der Holunder. Es sind fantastische Fotografien entstanden, die in verschiedenen Stufen der Nahaufnahme diese Blütenpracht der Insel festhalten. Die Bananenstauden waren auch ein wichtiges Fotomotiv. Man sieht hier sehr schön, warum die Banane krumm ist: Die Früchte wachsen umeinander herum nach oben zum Licht – hängen also offenbar nicht wie Trauben herab. Die unteren Früchte drängen die über ihnen wachsenden nach innen. Und so wachsen alle krumm. Die Blätter des Bananenbaumes gaben ein faszinierendes Fotomotiv ab: Die Blattadern, die Blätter, die eigentlich aussehen wie ein feiner Dekostoff.
Um solche Fotos zu schießen, war natürlich einiges an Fotoausrüstung nötig. Gisela und Klaus waren mit Apparaten und Stativen behängt und haben dem Flughafenpersonal beim Einchecken helle Freude bereitet – denn die Apparaturen sehen ja alle aus wie getarnte Maschinengewehre und handliche Bomben. Daß die Trickserei mit dem vielen Handgepäck dennoch nicht ausreichte, darauf deutet der Titel der Ausstellung – 200 Euro Übergewicht.
Zu den Zeichnungen und Tuschebildern:
Gisela und Klaus wohnten auf der Ilha Soa Miguel, die zur östlichen Inselgruppe im Verband der Azoren gehört. Sie wohnten in Caloura an der Südküste. Hier sind im Prinzip die Bilder entstanden, die Steilhänge zeigen. Die zwei Felsnasen, die wiederholt dargestellt sind, ragen vor Mosteiros am Westende der Insel aus dem Meer. Die Bilder von Buchten und Stränden stammen von der Nordküste bei Ribeira Grande, wo das Land sich etwas flacher ins Meer senkt. Mit dem Mietwagen ist die Insel also leicht zu umrunden.
Ich habe schon erwähnt, dass etliche Motive mehrfach auf den Bildern auftauchen. Und das ist natürlich interessant im Hinblick auf die Technik der Darstellung: Man kann sehr schön sehen, was jede Technik besonders herauszustellen vermag. Was dargestellt wird, resultiert dabei aus der Art des Sehens, mit der sich der Künstler dem Objekt der Darstellung nähert. Zeichnen und Malen werden als die beiden Extreme des Sehens einander gegenübergestellt. Die Zeichnung favorisiert die Linie, den Umriß und die Schraffur. Ein Gegenstand wird von der Umgebung abgegrenzt, Kontraste können besonders scharf hervortreten. Das Tuschebild wird von der Fläche her empfunden. Begebenheiten werden harmonisiert, Gegenstand und Umgebung eher in einen Zusammenhang gestellt als dass sie kontrastiert würden. Die Malerei wird aus dem gefühlsmäßigen, impressionistischen Blick geboren, die Zeichnung aus einem analytischen Sehen.
Aber es ist nicht nur das unterschiedliche künstlerische Sehen, das die unterschiedliche Bildwirkung hervorbringt, es sind natürlich auch die unterschiedlichen Materialien der Darstellung. Tusche harmonisiert auch deshalb, weil das Medium der Darstellung weicher und fließend ist. Der Bleistift oder die Zeichenkohle kann eher das Strenge hervorheben, die Schroffheit einer Steilküste, die harten Kontraste im täglichen Kampf zwischen Wasser und Fels. Bei der Zeichnung herrscht der schwarz-weiß-Kontrast vor, die Malerei – und auch bereits diese Tuschebilder – lebt von der chromatischen Abtönung. Die Zeichnung ist in der Bildenden Kunst das, was in der Musik die Solosuite ist: Ein einziges Instrument muß im Verlauf des gesamten Stückes genügend Dynamik und Kontrastreichtum entfalten, um die Darbietung lebendig zu machen. Malerei ist wie ein Orchesterwerk, das die unterschiedlichen Klangfarben der Instrumente nutzen kann, um interessant zu sein.
Die Zeichnung, würde ich sagen, fängt hier eher die Gewalt und Unzugänglichkeit der Inselnatur der Azoren ein. Ganz konkret machen allerdings auch die Tuschebilder die Gewalt der Natur sichtbar, und zwar unvermittelt: Die Spritzer von Sepia und Blister, den braunen Tuschen, die Klaus Nerlich verwendet hat, bringen den stürmischen Wind direkt aufs Papier. Als Plein-Air-Malerei, Malerei, die an der frischen Luft, mitten in der Natur entstanden ist, waren Maler und Blätter dieser Natur eben auch hilflos ausgeliefert. Das Papier blähte sich und wäre häufig fast davongeflogen. Die Spritzer, die sie auf den Buchtenbildern sehen, ist einfach Tusche, die der Wind aufs Papier geweht hat.
Für Klaus und Gisela haben die Azoren wettermäßig doch nicht nur Hochdruckgebiete bereit gehalten – Anfang März. Man kann aber sehen, dass die beiden einen ereignisreichen und lehrreichen Studienaufenthalt genossen haben. Stoßen wir darauf an, dass Klaus und Gisela uns an ihren Erlebnissen teil haben lassen möchten!
Vielen Dank.
Dr. Cornelie Becker-Lamers, Weimar