Mit der Wachheit der Sinne - aus der Tiefe der Stille
Rede zur Eröffnung der Ausstellung mit Werken von K.H. Bastian - B. Debus - M. Ernst - E. Franz - C. Hartung - M. Kühn-Leihbecher
Wasserschloß Klaffenbach, Samstag, 3. März 2018, 15 Uhr
Sehr geehrte Damen und Herren,
"Mit der Wachheit der Sinne - aus der Tiefe der Stille". Ein mystischer Ausstellungstitel und für die heutige Zeit ungewöhnlich. Schon der Titel hebt uns gänzlich aus dem Alltag, seiner Hektik und seinen Sorgen heraus. Er lenkt die Aufmerksamkeit nicht auf das, was gezeigt werden soll - hier soll ganz offensichtlich nicht belehrt und nichts irgendwie umfassend dargestellt werden. Sondern er lenkt die Aufmerksamkeit auf den Entstehungsprozeß der Kunst, die wir hier sehen. Der künstlerische Schaffenstrieb ist das entscheidende für die Auswahl der hier gemeinsam ausstellenden Künstlerinnen und Künstler gewesen - das künstlerische Erkenntnisinteresse, das das Wesen der hier ausgestellten Werke bestimmt und eine Betrachtungsweise herausfordert, die nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern erkennen will, eine Betrachtungsweise, die bereit ist zu Kontemplation und zum Heraustreten aus der Alltagswelt.
Titel, Idee und Konzept der gesamten Ausstellung stammen von dem Weimarer Maler Karl Heinz Bastian. Vor drei bis vier Jahren begann er, Kolleginnen und Kollegen für ein gemeinsames Ausstellungsprojekt anzusprechen - Kolleginnen und Kollegen, die alle wie er selber auf dem Wege der Intuition zur Gestalt ihrer Werke finden. Künstlerinnen und Künstler, deren Schaffenstrieb ungetrübt ist von strategischen Überlegungen, ungetrübt vom Schielen auf den Kunstmarkt oder auf die Werke der Kollegen, ungetrübt vom Wunsch nach politischer Einmischung. Sie wissen, daß auf den großen Biennalen seit Jahren die Kunst in einer Weise instrumentalisiert wird, die weder dem politischen noch dem künstlerischen Diskurs guttut.
Nein - in der Ausstellung, die wir heute eröffnen, finden Sie sich ganz in der Welt der Bildenden Kunst wieder. Jedes Werk ist beseelt von seiner Suche nach Schönheit, nach Ausgleich und Balance. Am augenfälligsten wird das in den kinetischen Skulpturen des Metallbildhauers Michael Ernst - wahre Wunderwerke in ihrer Beherrschung der Naturgesetze - die freilich wiederum nur beherrschbar sind, wenn sich der Künstler und Kunsthandwerker ganz diesen Naturgesetzen unterordnet und im Schaffensprozeß eins wird mit seinem Werk.
Die Suche nach Ausgleich und Balance wird aber auch sichtbar in den Werken der übrigen Künstler. Sie gehören mehreren Generationen an, sie haben sich die unterschiedlichsten Materialien zu eigen gemacht - vom handgeschöpften Papier über Stoff und Japanpapier, Öl- und Acrylmalerei, Graphik und Prägedruck bis hin zu Schmiedearbeiten und den mächtigen Holzskulpturen von Beate Debus. Und doch eint all diese Künstlerinnen und Künstler der Kern ihrer Arbeitsweise - nämlich der mit Sicherheit unbewußte Ansatz, nicht bei der Kritik an der Welt um sich herum stehenzubleiben, sondern ihr in der Kunst eine Gegenwelt an die Seite zu stellen - als Teil der Schöpfung, begabt mit schöpferischer Kraft, selber Welt zu schaffen.
Eine Ausstellung mit diesem Titel und allen beteiligten Künstlerinnen Künstlern war vor zwei Jahren bereits in der Kunststation im hessischen Kleinsassen und im Kunstpavillon Eisenach zu sehen. Ich sage mit Absicht: Eine Ausstellung mit diesem Titel und allen beteiligten Künstlern, denn es ist für mich frappierend zu sehen, wieviel der jeweilige Ausstellungsort zur Gesamtwirkung einer solchen Schau beiträgt. Hier, im Wasserschloß Klaffenbach, haben die Exponate in sieben Räumen Platz - ideale Bedingungen also, um mit den Werken der einzelnen Künstlerinnen und Künstler jeweils gesonderte Räume zu gestalten. Eine "Visitenkarte" geben die Beteiligten im Eingangsfoyer im 1. OG ab - dieser Raum ist auch an den Wänden mit Arbeiten aller sechs Künstler bestückt. Das Foyer im 2. OG aber gehört ganz den raumgreifenden Holzskulpturen und Kleinplastiken von Beate Debus und der benachbarte Raum "Auenblick" steht ganz der Malerei Karl Heinz Bastians zur Verfügung. Der langgestreckte "Landvoigt", ebenfalls im 2. OG, ist optisch geteilt und erstrahlt in der westlichen Hälfte (nach links) von den leuchtenden monochromen Arbeiten aus blau, rot, gelb gefärbtem Japanpapier von Cordula Hartung. In der ersten Etage dann sind den ebenfalls starkfarbigen Werken der Malerin Elvira Franz die Wände des "Salons Parkblick" vorbehalten, den Collagen aus handgeschöpftem Papier von Marita Kühn-Leihbecher der "Zwischenraum" und große Teile des "Salons am Turm". Es ist vor allem der Metallbildhauer Michael Ernst, der an verschiedenen Stellen im Schloß die freien Flächen in den Räumen nutzt, um seine Metallarbeiten und kinetischen Skulpturen zu zeigen - vom "Landvoigt" über den "Salon am Turm" bis in den "Salon Parkblick". Das ist die eine Möglichkeit, die wir gewählt haben, um einen Dialog auch zwischen den Werken verschiedener Künstlerinnen und Künstler zu inszenieren - obwohl wir die Beteiligten in je einem Raum mit ihrem Werk zu Geltung kommen lassen können. Die zweite ergibt sich in den Durchblicken von einem zum andern Raum. Die offenen Türen sorgen bei aller räumlichen Trennung für eine Atmosphäre der optischen Durchlässigkeit und der ästhetischen Interferenz.
Soviel zunächst zur Konzeption dieser hiesigen Ausstellung, die sich durch die besonderen Räumlichkeiten dieses Schlosses so ganz von ihren Vorgängerinnen unterscheidet. Aber natürlich sind inzwischen, seit Anfang 2016, auch weitere Werke entstanden und können ab heute erstmals gezeigt werden. So sind die "Reflexionen" des Metallbildhauers Michael Ernst, im Foyer im 1. OG zu sehen, erst vor wenigen Wochen fertig geworden und werfen ein völlig neues Licht auf den Ideenreichtum dieses Künstlers und die technischen Möglichkeiten seines Mediums. Denn "Reflexionen" - das ist nicht nur ein Hinweis auf die verwendeten Spiegel in den drei kleinen Werken. Die "Reflexionen" sind verblüffender Weise Spiegelungen bisheriger Werke Michael Ernsts, es sind Selbst-Reflektionen seines eigenen künstlerischen Schaffens. Indem nämlich Teilumrisse kinetischer Skulpturen - in diesem Fall aus der Skulptur "Brainfish" - mittels Laserstrahl in die Metallplatten geschnitten wurden, entstanden die Formen, die die geschlossene Fläche der Metallplatte öffnen und durch den dahinterliegenden Spiegel verdoppeln. Die "Reflexionen" sind gleichsam Apparaturen eines Künstlers, um das eigene Werk zu spiegeln und zugleich zu verfremden und es so im sprichwörtlichen anderen Licht zu betrachten.
Die "Reflexionen" sind wie gesagt ganz neue Arbeiten und eine ganz neue Art zu arbeiten bei Michael Ernst. Allein von der äußeren Ästhetik her setzen die Reflexionen mit ihrer glänzenden Oberfläche und den veritablen Spiegeln im Innern völlig neue und bei Michael Ernst ganz unbekannte Akzente. Ich will da jetzt gar nicht mehr dazu sagen, wenn Sie gleich das Foyer im 1. OG besichtigen, wird Ihnen der Unterschied zu den Steckfiguren und den Engeln sofort ins Auge springen und von selber erschließen. Typisch für das Werk von Michael Ernst sind die kinetischen Skulpturen, die unsere Ausstellung in verschiedenen Räumen zeigt - auch hier wird übrigens bereits die Oberfläche des Metalls, lackiert oder korrodiert, ganz unterschiedlich in Szene gesetzt. In mehreren Achsen auslenkbar, die sich in der Bewegung gegenseitig beeinflussen, sind diese Aufbauten aus Bögen, Kugeln, Schalen und Flächen wahre Wunderwerke der Balance.
Die kinetische Skulptur "Brainfish", hatte ich gesagt, ist das Ausgangswerk von Michael Ernst für die Umrisse in den Reflexionen. "Brainfish" ist sehr groß und ausladend und daher in dieser Ausstellung hier nicht zu sehen. An dieser Stelle kommt uns ein weiterer Service des Hauses zugute: In einem winzigen Nebenraum des "Salons am Turm" hat die Museumsleiterin Frau Lehmann einen Bildschirm aufbauen lassen. Dort läuft in einer Videoschleife ein Film von gut einer Viertelstunde Dauer, der 2016 nach Ablauf der beiden Ausstellung in Kleinsassen und Eisenach entstanden ist. Etliche Werke der hiesigen Ausstellung finden Sie dort mit ausführlichen Erläuterungen wieder - aber eben auch das Werk "Brainfish", das in Klaffenbach nicht gezeigt werden kann. Schauen Sie einmal in den Film hinein, es sind dort auch einige Stühle gestellt. Das ist noch einmal wie eine Führung durch die Ausstellung, die ich von dieser Stelle aus, wo keines der Werke für uns sichtbar ist, gar nicht so gut leisten kann.
Dennoch möchte ich selbstverständlich auch zu den übrigen Künstlern einige allgemeine Hinweise zur Arbeitsweise und zum Verständnis der Werke geben. Marita Kühn-Leihbecher, im 1. OG im "Zwischenraum" und dem "Salon am Turm" zu sehen, schöpft selber Papiere, färbt sie ein und fertigt dann meist in einem weiteren Arbeitsschritt Collagen an. Ihre Arbeiten gehören zu den Werken, die man ganz schlecht in Katalogen und auf Fotografien abbilden kann, weil ihr Reiz nicht nur in der Farbigkeit und der Ausgewogenheit der Formen im Bildraum besteht, sondern in der sichtbaren Haptik des Werkstoffs selber. Das Material ist hier in einer Weise Teil der Bildaussage, daß man die Werke wirklich leibhaftig in einer Ausstellung sehen muß, um sie richtig einschätzen und genießen zu können. Die teils filzartige, teils wollig-ausfransende, teils flusige, teils hartfaserig-glatte Oberfläche der unterschiedlichen Papiere wird nur direkt vor dem Werk sichtbar. Die unterschiedlichen Oberflächen rühren dabei von den diversen Ausgangsmaterialien her, die die Künstlerin in verschiedenen Pflanzen findet. Je nach Werkstoff, kommt sie denn auch zum Teil ohne Einfärbung aus: Der etwas taube Braunton, der einige Werke erdet (etwa "Öffnung" hier im "Zwischenraum"), rührt vom Ausgangsstoff Hanf her und verleiht etlichen Werken den neutralen Hintergrund für den Einsatz kräftiger Farben. In anderen Werken werden Papierausschnitte in der Collage überlagert, Farbflächen und sekundäre Materialien wie Fäden scheinen durch das z.T. hauchfeine Papier hindurch. Die Materialbeschaffenheit des Papiers bestimmt die Künstlerin dabei im Prozeß des Schöpfens selber. Haptik, Stärke und damit mögliche Transparenz, Dichte und Farbe ihres Werkstoffs sind als Herstellung des Materials bereits Teil des künftigen Werkes. Form und Inhalt, Material und Werkaussage sind nicht zu trennen.
Von Cordula Hartung präsentiert unsere Ausstellung drei wichtige Zweige ihres künstlerischen Schaffens. Die starkfarbigen monochromen Arbeiten aus gefaltetem, ebenfalls selbst vielfach bearbeiteten Japanpapier, die wir im "Landvoigt" zeigen, habe ich bereits erwähnt. Internationalen Rang bekleidet die Künstlerin auf dem Gebiet der Stoffarbeiten, des Quiltens. In diese Kunstrichtung gehören auch die sechs quadratischen Stoffarbeiten mit dem Titel "Überlagerung", die einmal zu viert und einmal als Paar im "Salon am Turm" und im "Landvoigt" hängen. Hier wird in aufgenähten und abgesteppten Stoffbahnen in jedem Werk eine neue Harmonie von Farben und Formen gesucht.
Zur dritten Werkgruppe, aus der wir die Arbeit "Zwischen den Zeilen" im "Landvoigt" zeigen, gehören getropfte Bilder aus Lack auf Papier. In ihren gleichförmigen Reihen von Lackpunkten scheinen sie Sekunden in die Fläche zu tropfen. Mit der Gestalt der Lacktropfen assoziiere ich die Umsetzung der Sprache in die punktuellen und rhythmisierten Signale des Morsealphabets oder der Blindenschrift. Ich assoziiere eine stillgestellte Zeitlichkeit, die in sich zurückgebogene, rückbezügliche Linearität einer sprachlichen Botschaft, die man im zeitlichen Ablauf hören und doch ein einem Moment begreifen muß, ich assoziiere den Verlauf einer Geschichte. Die kleinen Tropfengruppen bilden für mich die Morpheme eines unbekannten Codes. In ihrer immer wieder organisch abnehmenden Stärke lassen sie an die regelmäßigen Betonungen gebundener Sprache oder an das Atemholen der Erzählenden denken. Sie scheinen Momentaufnahmen der fließenden Bewegung von Zeit und Sprache zu sein.
Im Werk "Klostergärtlein" entwickelt Cordula Hartung diese Lackarbeiten weiter. Statt linearer Zeilen legen die Punkte hier verschlungene Spuren, grenzen Bezirke und Reviere ab, trennen Beete von Wegen. Wir haben das Werk, das ebenfalls neu entstanden ist und hier erstmals gezeigt und erstmals in einem Katalog abgebildet wird, ins Foyer im 1. OG gehängt.
Die Holzbildhauerin Beate Debus ist berühmt für ihre hohen schwarz-weißen Standskulpturen, die sie mit der Kettensäge aus einem einzigen Baumstamm herausmodeliert. Mit einem Höchstmaß an Abstraktion zeigen die Skulpturen die aufeinander bezogene Bewegung zweier Körper, die sich umschlingen, bedrängen oder aneinander vorbei existieren. Es geht um Fallen und Stützen, um Halten und Schützen, um Fangen und Freigeben, um Standhaftigkeit und Schwäche. In jedem Fall balancieren in diesen Skulpturen polare Kräfte einander aus. Zur besseren Lesbarkeit der Werke werden diese polaren Kräfte in jeder Skulptur mit Schlämmkreide geweißt bzw. durch Feuer geschwärzt. Das Thema dieses gesamten, zigfach variierten Werkzyklus, der die Künstlerin seit über einem Jahrzehnt beschäftigt, ist die Bewegung im Raum, die verschiedene Dispositive sozialen Lebens sichtbar macht. Längst ist es gängig, daß in den Ausstellungen dieser Werke ein Mensch die Skulpturen tanzt oder ein Pantomime eine der Arbeiten punktuell nachstellt. Diese Performancen können jeweils zeigen, wie genau das Typische eines Bewegungsmusters in den Standskulpturen von Beate Debus herausgearbeitet ist.
Daß der Ursprung dieser körperlichen Dispositive in charakterlichen Eigenheiten und individuellen psychischen Vorgängen liegt, ja, daß die widerstreitenden Kräfte auch in einem einzigen Menschen gegeneinander arbeiten können, hat vor etwa zehn Jahren einen weiteren großen Werkzyklus von Beate Debus angestoßen. Er umkreist das Thema Kopf. Rundgewölbte Stirnen, farblich maskenhaft abgesetzte Augenpartien oder verschobene Gesichtszüge verweisen auf die innere Erregung, die der Ursprung äußerlich wahrnehmbarer Aktivität ist. In der Überzeichnung mimischer Vorgänge schaffen die Werke den Spagat zwischen höchst individueller Form und überindividueller, typisierender Gestaltung.
Zwei der Köpfe stehen im "Salon Parkblick", und das Foyer im 2. OG ist ganz dem Werk von Beate Debus vorbehalten. Wir zeigen außerdem einen Prägedruck und zwei Zeichnungen, die zumindest einen kleinen, vereinzelten Hinweis geben können auf die Art und Weise, wie die Künstlerin in der zweidimensionalen Arbeit die großen Skulpturen entwirft, vordenkt und gestalterisch auf ihre Wirkung und Umsetzbarkeit hin testet.
Die Wände des "Salon Parkblick" haben wir mit den Werken der Malerin Elvira Franz gestaltet. Ihre intuitiv und mit oft langen schöpferischen Pausen im Arbeitsprozeß entstehenden Bilder zeigen gegeneinander verschobene Farbverläufe. In geometrisch angelegten, zum Teil mehrfach achsengespiegelten Flächen schneiden sich geschwungene oder ellipsoide Linien untereinander und lassen so viele Reihen kleiner Bildabteilungen entstehen. Diese kleinen trapezförmigen Flächen werden farblich derart abgetönt, daß sich in jeder Richtung ein organischer Farbverlauf von Feld zu Feld ergibt. Immer wieder mündet ein Farbverlauf in ein strahlendes, ja gleißendes Weiß, das von innen aus dem Bildraum hervorzuleuchten scheint und den Betrachter wie der Vorschein einer anderen Welt in seinen Bann zieht.
Die Arbeiten von Elvira Franz dürfen nicht mit serieller Konkreter Kunst verwechselt werden. Während Künstler wie Richard Paul Lohse etwa um die Mitte des 20. Jahrhunderts herum serielle Farbstudien nach mathematischen Regeln konstruierten, arbeitet Elvira Franz intuitiv. Bildfindung und Ausgestaltung ihrer Werke finden in der Kontemplation statt, die dem Betrachter die Werke auch wiederum erschließt. Elvira Franz inszeniert autonome Formen, die im Dialog mit und in Abgrenzung von ihrem bildnerischen Umfeld ihre spezifische Bedeutung erlangen.
Farbton, Helligkeitswert und Sättigung stehen der Künstlerin als drei Parameter ihrer Verwandlungen und Farbrhythmen zur Verfügung. Sie kommen auch in den Werken der "Romanik"-Serie zum Tragen, die zum Teil tatsächlich in der Architektur romanischer Basiliken entstanden und im scheinbaren Blick zwischen den Säulen in Kirchenschiff oder Krypta die Illusion einer räumlichen Tiefe erzeugen. Werke wie "Stufen I und II" hingegen nutzen die romanischen Bildelemente als Versatzstücke und Formzitate zur Komposition wiederum gegenstandsloser Malerei. Während die gegenstandslosen seriellen Bilder Elvira Franz' bewußt die Kunstgriffe der Perspektive unterlaufen, um die gemalte Fläche wieder als Fläche erfahrbar zu machen, nutzen die Werke der "Romanik"-Elemente - ob in den Abbildungen von Raumsituationen oder als Formzitate - für ihre Wirkung das kulturell erworbene Wahrnehmungsmuster der Perspektive. Verjüngung und Verkürzung der Formen treten zu den bildnerischen Mitteln bestimmter Farbverläufe hinzu, um dem Bildraum die Tiefenwirkung der dreidimensionalen Architektur zu verleihen.
Der "Salon Auenblick" umfängt uns mit dem Werk von Karl Heinz Bastian, um damit zum sechsten und letzten der hier ausgestellten Künstler zu kommen. Auch seine Werke könnte man auf den ersten Blick mit Konkreter Kunst verwechseln, doch auch für sie gilt, daß nicht Berechnung, sondern intuitives Formempfinden die Bildgestaltung bestimmt. Auch Karl Heinz Bastian inszeniert autonome Formen. Jedes seiner Kunstwerke sieht er dabei als Ausschnitt eines Schaffensprozesses - als zeitliche und räumliche Zäsur im ständigen Fluß des lebendigen Werdens und Sich-Entwickelns, als Teil einer größeren Gestalt. Seine Arbeiten können nach allen Seiten über den Bildrand hinaus weitergedacht werden. Sie sind Haltepunkte in einem Arbeitsprozeß, der immer wieder Neues, aber auch immer wieder Variationen einer bestimmten Formentwicklung hervorbringt. Bildtitel wie "Keim", "Wachstum" und "Verwandlung" verweisen auf diese Idee des Organischen im Schaffensprozeß. Seine Arbeiten suchen stets nach der Balance von häufig um ein Zentrum herum wachsenden Formen. Man kann sich diese Suche bei Karl Heinz Bastian gar nicht existentiell genug vorstellen. Jede Symmetrie im Bild wird selbstverständlich vermieden: Arretierte Waagschalen tarieren nicht. Balance ist ein Akt der Freiheit und muß in jedem Moment neu errungen werden. Symmetrie schreibt die Formen fest und muß jeden 'Auswuchs' sofort zurückstutzen. Die Formen in den Werken Karl Heinz Bastians aber entwickeln sich gedanklich ständig weiter und finden ihren Ausgleich nicht im identischen Pendant, sondern im Zusammenwirken aller Farben und Formen eines Bildraums.
Hier will ich nun schließen und Sie nicht länger von der Betrachtung der Kunst abhalten. Versenken Sie sich in die einzelnen Werke und holen Sie sich die Zeit und Ruhe aus ihnen zurück, die in ihre Entstehung eingeflossen ist. Wir stehen für Nachfragen gerne zur Verfügung.
Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Nachmittag und danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Dr. Cornelie Becker-Lamers, Weimar