Laudatio zur Finissage des LEADER-Austausch-Projekts für bulgarischer Studierende

Rede zur Ausstellungseröffnung

Rudolstadt, Domäne Groschwitz, 12. September 2018, 18 Uhr

Sehr geehrter Herr Hercher, sehr geehrter Herr Professor Mirchev, liebe Jess Fuller, liebe Studierende der Malerei,

ich freue mich, daß wir heute zu einer kleinen Ausstellung von Bildern des Symposiums mit bulgarischen Studierenden der Malerei einladen können.

Das heißt - so klein ist die Ausstellung gar nicht. Nachdem die Studierenden bei Jess Fuller noch von Sofia aus Leinwände und Farben geordert hatten, die sie zum Malen brauchen würden, haben sie tatsächlich gearbeitet wie die Besessenen. Im Vorfeld ihres Aufenthalts hatten wir uns einige Programmpunkte in den umliegenden Städten überlegt, die interessant für unsere bulgarischen Gäste sein könnten. Denn wie der Zufall es wollte, gab es in der Zeit ihres Aufenthalts in Thüringen gerade sehr viele Ausstellungen zum Thema Landschaftsmalerei: In der Orangerie Gera zeigt man eine Ausstellung zur Malerfamilie um den Landschaftsmaler Heinrich Reinhold, in der Weimarer Kunsthalle schloß letzten Sonntag eine Ausstellung des Stadtmuseums zu Friedrich Albert Schmidt, einem Vertreter der berühmten Weimarer Malerschule und das Erfurter Angermuseum reflektiert noch bis Ende Oktober die gegenseitige Beeinflussung von Malerei und Fotografie in der Landschaftsdarstellung des 19. Jahrhunderts. Dazu mögliche Fahrten nach Dresden, Leipzig ... unsere Studierenden hätten sich hier 10 Tage lang ein schönes Leben machen können. Haben sie auch, aber nicht mit Besichtigungen, sondern mit Arbeiten: Zeichnen und Malen in der freien Natur.

Das begann schon am Dienstag, dem 4. September. Sie waren in der Nacht vom Flughafen Nürnberg angefahren gekommen und um 4 Uhr früh ins Bett gegangen - standen aber am Nachmittag desselben Tages bereits auf dem Hügel hinter dem Haus an der Staffelei. Dort traf ich zumindest Kristian Hubenov bei der Arbeit. Der große Fleiß bei der Arbeit ging die Tage über so weiter. Kaum, daß einige unserer Gäste einmal für ein-zwei Stunden nach Rudolstadt auf die Heidecksburg mitkamen. (Gestern freilich haben sie endlich mit großer Freude Erfurt, die Ausstellung im Angermuseum und anschließend auch Weimar besucht - und morgen geht's nach Dresden.) Als am Sonntag zum Hoffest das ganze Areal voller Menschen war, konnten die sechs Studierenden deshalb schon etliche Werke hier in der Scheune zeigen - und verkaufen. Und sie malten auch während des Hoffestes weiter - portraitierten sich gegenseitig in einer Geschwindigkeit und Qualität, die ihre lange Übung unter Beweis stellte, oder zeichneten Gäste des Hoffestes, die auf dem bereitgestellten Stuhl vor der Staffelei von Petra Dimitrova Platz genommen hatten.

Am Sonntag hatte ich dann auch Gelegenheit, mit jeder und jedem Einzelnen über ihre Arbeit, ihre Motivation, ihre Ausbildung und die Unterschiede zwischen unseren Ländern ins Gespräch zu kommen. Und dabei fand ich alle Studierenden sehr reflektiert. Sie wissen allesamt genau, was sie wollen, formulierten zum Teil sogar, wo ihre Stärken und Schwächen in der künstlerischen Arbeit liegen, woran sie noch arbeiten möchten und was sie verbessern können. Sie schilderten die Schwerpunkte ihrer Ausbildung und erzählten, mit welcher Art von Kunst und Experimenten sie auf ihre Freizeit verwiesen sind. Natürlich ging es auch immer wieder um die Unterschiede zwischen der sehr konservativ und traditionell ausgerichteten Ausbildung an der Nationalen Kunstakademie Sofia, die auf Technik und das künstlerische Handwerk sehr großen Wert legt, und Ausbildungsmöglichkeiten an deutschen Kunsthochschulen, über die ein Referent des Thüringer Kultusministeriums einmal bitter klagte, die Studenten lernten nur noch, Exposés zu schreiben. Hier scheinen wirklich die beiden Extreme des Zugangs zum künstlerischen Fach greifbar zu werden.

In der Akademie in Sofia sitzen die Studierenden täglich vor dem Modell und zeichnen. Dieses tägliche Studium soll sie lehren, genau hinzuschauen. Wenn man frei über die Technik verfügt, dessen ist sich Professor Mirchev sicher, kann man alles machen. Erst das Beherrschen der künstlerischen, handwerklichen Fähigkeiten verleiht die Freiheit des individuellen Ausdrucks, nach der alle Künstler streben. Ivaylo Nikolov Mirchev, Jahrgang 1954, wurde selber ebenfalls in Sofia ausgebildet, bei Svetlin Russev. Er studierte dort bis 1981 und war dann einige Jahre freischaffend tätig, bevor er 1987 Assistenzprofessor und schließlich ordentlicher Professor an der Kunstakademie wurde. Ein sechswöchiger Parisaufenthalt schon während seiner Professorenzeit gab ihm wichtige Impulse - und so freut er sich für seine Studierenden, die zum Teil hier in Groschwitz den ersten Auslandsaufenthalt erleben. Die Eindrücke sind natürlich vollkommen andere als in Paris - aber mit dem Arbeitsschwerpunkt der Freiluftmalerei, der Plein-Air-Malerei in der freien Natur, war und ist Groschwitz sicherlich ein idealer Standort. Auch neben seiner Lehrtätigkeit arbeitet Ivaylo Mirchev als Künstler weiter und stellt nach wie vor ein- bis zweimal jährlich aus, vor allem innerhalb Bulgariens. Lag sein Arbeitsschwerpunkt in früheren Zeiten beim Portrait, so bestimmen inzwischen die Landschafts- und Architekturstudien den Hauptteil seiner Werke. Dabei stellt eine mutigere Farbigkeit mit expressiv verfremdender Farbwahl eine neue Richtung in seiner künstlerischen Arbeit dar, die auch in den hier in Groschwitz entstandenen Werken auffällt.

Kommen wir nun endlich zu den Werken der Studierenden und beginnen mit Katerina Sergeeva Marinova. Sie wurde 1994 in Lom geboren, hat ihren Bachelor schon in der Tasche und studiert im ersten Jahr des Masterstudiengangs Malerei. Sie, die ursprünglich Juristin werden wollte, fand über den Abendunterricht in Zeichenzirkeln zur Bildenden Kunst. Neben den naturalistischen Tierportraits hat sie sich im vergangenen Jahr vor allem der Architektur zugewandt. Und zwar sehr bewußt. Sie möchte den Zustand alter und alt belassener Häuser festhalten, weil abzusehen ist, daß er zu verschwinden droht - so oder so: ob durch gänzlichen Verfall oder durch Renovierung. Wenigstens in ihren Bildern sollen die Häuser gerettet werden, die Katerina Marinova als "Inseln im Meer neuer Häuser" empfindet. An alten Häusern fasziniert die junge Malerin die Individualität, die Zeit- und Lebensspuren, die sich im Gebrauch und Verbrauch der Materialien in die Fassaden eingeschrieben haben. Wo neue und renovierte Häuser meist nur eine wohldefinierte Farbe zeigen, besitzen alte Häuser hunderte von Schattierungen, die das Verputzen und Flicken, vielleicht Bodenbewegung, sicherlich die Witterung, der Regen, Pflanzenranken oder Wasserschäden am Gemäuer hinterlassen haben. Alte Häuser geben mit dem Blick auf ihre Geschichte auch den Blick auf die Schichten frei, aus denen sie aufgebaut wurden: Ziegel, Mörtel, vielleicht Stuck, sicherlich irgendwo Putz und verwaschene Farbe. In Rudolstadt fand sie Objekte, die sie zum Malen anregten. Alte Häuser haben ein Gesicht, sagt Katerina Marinova, und ruft uns damit in Erinnerung, daß sich das Wort Fassade (früher auch im Deutschen als "façade" buchstabiert) tatsächlich vom französischen Wort für Gesicht (la face) herschreibt.

Als Spiegel ihrer Selbst sieht Vasiliki Hrisostomos Drakontaidis das Innere von Häusern. Die 1995 in Sofia geborene Studentin möchte, da sie diesen Sommer ihr Bachelorexamen bestanden hat, im Masterstudiengang weiterstudieren und strebt das Lehramt als Beruf an. Bei ihrem Aufenthalt in Groschwitz ist sie erstmals mit der Plein-Air-Malerei in Berührung gekommen und findet es anstrengend, im Freien zu malen. Lieber malt sie in geschlossenen Räumen, die leer und sauber sind. Neben dem Portrait präferiert sie das Intérieur als Sujet ihrer Bilder. Sie grundiert in Öl und komponiert dann ohne Vorzeichnungen ihre feingegliederten Gemälde in einem perfekten Bildaufbau. Schritt für Schritt arbeitet sie langsam, läßt die Bilder wachsen und forciert nichts. Das Intérieur stellt für sie ein Portrait ihrer selbst dar. Treppen und Türen sind wie Pforten zu den verschiedenen Dimensionen einer inneren Welt.

Ganz anders arbeitet Mihail Ivanov Trifonov. Der 1998 in Sofia geborene Student hat schon die halbe Welt bereist und diesen Sommer Erfahrungen mit bildhauerischer Arbeit in Carrara sammeln können. Er hat keinen spezifischen Schwerpunkt in seiner Arbeit, was das Sujet anbelangt. Er möchte malen - und studiert jetzt im dritten Studienjahr bewußt an der Sofioter Akademie wegen der konservativen und technikgeprägten Ausbildung - um einzufangen, welche Beziehungen zwischen ihm selber und der umgebenden Welt entstehen, wenn die Dinge auf ihn einwirken und ihn beeinflussen. Anregungen können so auch aus der Literatur in sein Werk gelangen und künstlerisch umgesetzt werden. Mihail Trifonov arbeitet ausgesprochen schnell - zwei Bilder am Tag, mit flott gespachteltem Farbauftrag. Am Sonntag konnte er mir zwei Landschaftsportraits zeigen, von dem Hügel vor Lichstedt. Zwei, denn als das Bild fertig war, wollte er noch weitermalen, das heißt, die Landschaft machte noch etwas mit ihm, und so malte er den Anschluß der Hügelkette auf einer zweiten Leinwand weiter. Große Formate geben ihm die beste Möglichkeit des Ausdrucks: Zwei Meter und größer. Unter 100 x 140 cm geht gar nichts. Am besten wird es, sagt er wörtlich, "alla prima". Wenn der erste Eindruck sich nicht auf den ersten Hieb auf die Leinwand bannen läßt, hilft ihm das Überarbeiten in der Regel auch nicht mehr, da es darum geht, frische authentische Gefühle festzuhalten. So grundiert er auch kaum. Im Gebrauch der Farben möchte er noch freier werden und, wie er sagt, die Farben fühlen, nicht denken.

Wie Vasiliki Drakontaidis, so malt auch Petra Ivanova Dimitrova, seit sie ein kleines Kind war. Inzwischen braucht sie das Zeichnen wie die Luft zum Atmen und tritt in ihr viertes Studienjahr im Bachelorstudiengang ein. Große Vorbilder sind die Impressionisten und Post-Impressionisten wie Kandinsky und Klee, die aber in ihrem Werk keinen direkten Niederschlag finden. Am liebsten hält sie das Leben der Tiere auf der Leinwand fest, in der Mappe sehen wir etliche Portraits von Rotwild. Da sie als Tochter eines Försters in der Natur aufwuchs - geboren wurde Petra Dimitrova 1996 in Varna - sind ihr Natur und Tiere vertraut. Gegen das menschliche Eingreifen in das Leben der Tiere - bis hin zur Tötung - begehrt sie auf, indem sie immer wieder die Schönheit der Natur und ihrer Lebewesen darstellt. Dabei malt sie die Tiere und vor allem die Landschaften auch aus der Erinnerung oder kombiniert die Tiergestalten aus den Fotografien verschiedener Bücher.

Die Bekanntschaft ihrer Eltern mit Herrn Hercher gab übrigens den Anstoß zu diesem Symposium hier in Groschwitz.

Valentin Metodiev Markov wurde 1994 in Sofia geboren und beginnt im Herbst sein drittes Studienjahr im Bachelorstudiengang. In seinen Bildern konnte ich am Sonntag noch gut die akribische Vorzeichnung erkennen, mit der Valentin seine Bilder entwirft. Als Sujet hatte er sich einen Pferdesattel, aber auch die gesamte Museumsscheune ausgesucht. Ihn faszinierte daran das Leben der Menschen, wie es sich in dieser Scheune dokumentiert. Er fand sie gar nicht sonderlich museal, sondern die Dinge waren eben weggeräumt, wo Platz war. Dennoch konnte man das Gegenüber von alten und neuen Landmaschinen und damit die Entwicklung der Arbeit, der Arbeitsabläufe und damit des Alltags der Menschen erkennen und in der künstlerischen Darstellung sichtbar machen. Valentin Markovs Malerei geht nicht ohne ein wenig nostalgische Gefühle und eine eher melancholische Grundstimmung einher, die ihn für seine Bilder die dunklen Farbtöne bevorzugen läßt. Er hält viel auf künstlerische Technik. Objektiv möchte er darstellen, was er in der Welt vorfindet, um zu dokumentieren und aufzubewahren. So übt er sich im genauen Sehen und der realistischen Abbildung. Er vergleicht seine Arbeitsweise mit einem Bienenschwarm, der summend und brummend überall zugleich, schnell und überaus lebendig ist. Das Leben nachzuahmen und festzuhalten ist seiner Meinung nach alles, was wir in der Kunst tun können. Dennoch sollen seine Bilder auch seinen subjektiven Blick transportieren. Wie zwei Seelen in seiner Brust, ist er zur Zeit - in seiner Ausbildung - noch hin- und hergerissen zwischen der objektiven, realistischen Darstellung und einer expressiven, gefühlvolleren Malerei mit verfremdeten Farben, die er gerne mehr zulassen würde. In diesem Punkt sieht er sich auf dem Weg - anders als sein Lehrer, der ihn wegen des großen Talents zur realistischen Abbildung bestärkt, diese Technik zu vervollkommnen.

Kristian Stoyanov Hubnov geht aus der Gruppe unserer Studierenden am weitesten in Richtung künstlerischer Experimente. Zwar studiert auch er tapfer in der Akademie täglich vor dem Modell und hier in Groschwitz mit der Leinwand in der freien Natur oder am Fenster, von wo aus er das Vogelhaus malte (und dabei übrigens von Valentin Markov portraitiert wurde). Aber er trägt auch Farbe auf eine Frischhaltefolie auf und druckt das Landschaftsbild auf Pappe. Kristian Hubenov wurde 1997 in Plovdiv geboren und geht wie Valentin nun ins vierte Studienjahr des Bachelorstudiengangs. Zum Kunststudium hat er sich als Jugendlicher entschlossen, nachdem er eine Weile als Graffitimaler unterwegs gewesen war. Sein Kunstlehrer auf der Sprachenschule, die Kristian besucht hat, ermunterte ihn, seinem künstlerischen Interesse auch jenseits des Graffiti und der Gebrauchskunst nachzugehen. Das tat Kristian, jedoch nicht ohne die gesellschaftliche Dimension der Bildenden Kunst im Blick zu behalten. Er sieht unsere Kultur in der vielbeschriebenen Bilderflut versinken und präferiert eine subversive Kunst, die vom Surrealismus inspiriert ist. Am meisten schätzt er die freie Form in der Kunst und die Bildkomposition aus einer phantastischen Imagination heraus - eben den Surrealismus.

Ich möchte allen sechs Studierenden alles Gute und viel Erfolg auf ihrem künstlerischen Lebensweg wünschen. Wenn man die Technik und das künstlerische Handwerk beherrscht, hat Professor Mirchev als sein Credo formuliert, dann kann man alles machen. Wenn man bedenkt, daß auch der Verpackungskünstler Christo ein Absolvent der Sofioter Kunstakademie ist, kann man dem kaum widersprechen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Dr. Cornelie Becker-Lamers, Weimar