Im Spannungsfeld zwischen Fläche und Raum
Stefan Böhm und Stephan Dill im Dialog
Rede zur Eröffnung der Ausstellung
Galerie Eigenheim Weimar, Freitag, 11. April 2025, 19 Uhr
Lieber Konstantin Bayer, liebe Bianka Voigt, lieber Stefan Böhm, lieber Stephan Dill, liebe Gäste,
die Galerie Eigenheim ist bestückt mit Steinskulpturen von Stefan Böhm - auf Stephan Dills Arbeiten an der Wand werde ich im Kontext auch zu sprechen kommen, da Ken Yamamoto ja verhindert ist.
Wir sehen Steinskulpturen verschiedener Farben und Formen - sprich verschiedener Materialien und deren Bearbeitung. Wenn man die Werke eine Weile betrachtet hat, wird sich die Frage stellen, wie die einzelnen Formen zustande kommen. Das fragt man sich meistens, wenn evident ist, daß keine figürliche Idee im Hintergrund des Schaffensprozesses stand. Das ist bei Stefan Böhm offenkundig nicht der Fall, nicht einmal als Abstraktion einer Figur. Er schafft die reine Form.
Aber irgendein Erkenntnisinteresse muß dieses Formschaffen ja antreiben. Ein Bildhauer sägt ja nicht einfach drauf los. Tatsächlich speist sich der Formwille Stefan Böhms in diesem Fall immer aus dem Material. Jede Gesteinsart gibt ihm von vorneherein die Richtung vor, in der sie zu bearbeiten ist. Denn Stefan Böhm will aus seinen Gesteinsblöcken nicht irgend etwas anderes machen, was dem Stein selber äußerlich wäre. Er will dem Stein keine Form aufdrücken. Sondern er will das Gestein zur Geltung bringen, in all der Schönheit, die es birgt.
Verglichen mit anderen Künstlern, geht Stefan Böhm im Schaffensprozeß also einen umgekehrten Weg. Nicht die Formidee steht am Anfang und der Künstler würde das Material suchen, in dem er seiner Idee am wirkungsvollsten Ausdruck verleihen kann. Sondern der Stein steht am Anfang und Stefan Böhm arbeitet die Form heraus, die den Stein am besten zu sich selber bringt.
Das hat zur Folge, daß wir uns hier glänzend poliertem Diabas gegenüber sehen. Die im Wortsinne Strahlkraft dieser Kunstwerke kann so überwältigend sein, daß die Gegenwart dieser Skulpturen manchen Atelierbesuchern nach einiger Zeit unheimlich wird und ein undefinierbares Gefühl in ihnen aufsteigt, das eine Art Fluchtreflex auslöst. Man flieht vor der Wucht der Existenz dieser so substantiell zu sich selbst gekommenen Steine.
Die strahlend schwarzen Seiten dieser Kunstwerke hebt Stefan Böhm noch hervor, indem er ihnen aufgerauhte Flächen benachbart - Flächen, oder vielleicht besser gesagt Vertiefungen, Ausstülpungen, 'Nasen', Erhebungen, jedenfalls eigentlich Nicht-Flächiges.
Diese angerauhten Teile unterbrechen die glänzend polierten Seiten und zeigen das Bild des Steines, wie der Künstler ihn in der Natur aufspürt. Zum Teil für Exponate wirklich gefunden hat, zum Teil in Gegenden sucht, wo er bestimmte Steine beheimatet weiß, zum Teil in Steinbrüchen als Brocken kauft und abholt. Im Außenraum um Stefan Böhms Atelier liegen etliche Brocken bemooster und erdverkrusteter Steine, unter denen wohl niemand von uns - außer dem Künstler - die Schätze vermuten würde, die Stefan Böhms Arbeit als Bildhauer darin zutage fördert.
Die Kontrastierung polierter mit aufgerauhten Flächen bringt natürlich mit sich, daß Stefan Böhms Skulpturen immer auch schon ohne künstlerischen Partner in Dialog treten, nämlich in Dialog mit sich selber. Das "Spannungsfeld zwischen Fläche und Raum" schreiten die Steine gewissenmaßen immer auch schon alleine aus. Flächigkeit und Tiefenwirkung lotet Stefan Böhm in jeder Arbeit aus. Hinzu kommen die neuerdings die Fotografien der skulpturalen Entstehungsprozesse, die Stefan Böhm unlängst in der Kunsthalle Arnstadt mit präsentiert hat. Durch Ausschnittfotografien seiner Arbeiten werden Perspektiven sichtbar, die beim Umrunden der Skulptur verborgen bleiben können. Es werden Ansichten in Szene gesetzt, die eine Steuerbarkeit des Lichteinfalls zur Voraussetzung haben. Diese Steuerbarkeit ermöglicht die Fotografie. Die Fenster einer Ausstellungsfläche aber nicht im selben Maße. Es werden durch die Fotografie dann auch Formen isolierbar, die im Kontext der Steinskulptur schlicht nicht wahrnehmbar sind. Die Werkfotografien erlauben es Stefan Böhm in besonderem Maße, seine Skulpturen in einen selbstreflexiven Dialog der Formen untereinander treten zu lassen. Er steuert so die Wahrnehmung der Skulpturendetails und bereichert die Rezeption seiner Werke, die auch in einem Umschreiten der Exponate notwendigerweise immer eingeschränkt bleiben muß.
Nun treten die Skulpturen Stefan Böhms heute aber zusätzlich in einen Dialog mit der Malerei von Stephan Dill. Das Selbstgespräch der Steine wird zum Flüstern und sie schauen neugierig auf ihr fremdes Gegenüber. Und die Steine wissen, sie müssen schnell sein. In einer Galerie haben sie nicht, wie nach einem Erdrutsch, hunderttausend Jahre Zeit, um sich in Ruhe in ihrer neuen Umgebung zurechtzufinden.
Die Exponate sind von den drei Profis denn auch sehr freundlich aufeinander abgestimmt worden. Ganz wunderbar korrespondieren die strahlenden Doleritskulpturen mit den feuerroten Malereien Stephan Dills. Wie Balsam für die Augen sind die zarten Rosé-und Grautöne auf den matten Kalkstein abgestimmt. Und weit öffnet der nebelverhangene Krater aus blauem Bergkristall einen Raum für das schneeweiße Werk aus Marmor.
Die polierten Flächen der Skulpturen fügen sich optisch nahtlos in die Schichten der Bildräume von Stephan Dills Malerei. Denn ja - die Skulpturen treffen hier auf ein Gegenüber, das sich seinerseits auf das Ausloten von Fläche und dreidimensionaler Struktur im Bildraum versteht. Auch die Malerei Stephan Dills holt Tiefe in die Fläche hinein - sei es als illusionärer Raum geborstener Verhüllungen, verschlungener Lianen oder hervorquellenden Schläuche, sei es als reale Struktur abgehobener Farbschichten und rekonstruierter Vorzustände. Kompliziert wie die Schöpfung ist diese Malerei und das gefällt den Skulpturen. Damit können sie umgehen.
Ich habe bisher die Kalksteine nur en passant erwähnt, muß aber jetzt noch einmal näher darauf eingehen. Denn in dieser Ausstellung ist eine Besonderheit zu sehen, auf die ich bisher nicht aufmerksam machen konnte. Etwas ist neu. Es ist der Knotenkalk mit seinen korallenfarbenen Einschlüssen.
Sie haben bereits gemerkt, daß der Kalkstein nicht ganz so wie die Basalte auf Glanz und Politur hin bearbeitet ist. Das wäre auch vergebliche Liebesmüh, denn Kalkstein ist weniger dicht, zeitigt dafür aber Lufteinschlüsse von zerfallenen Materialien. Er schließt Fossile und Pflanzen ein. Und da, wie gesagt, das Ziel der Arbeit von Stefan Böhm ist, das Wesen jedes Gesteinsbrockens sichtbar zu machen, versucht der Künstler, in Kalkstein und Travertin die vorteilhaftesten und interessantesten Ansichten solcher Einschlüsse freizulegen. Die Werke aus Kalkstein stellen bei Stefan Böhm immer die Flecken und Höhlungen des Gesteins aus. Manchmal kann auch eine versteinerte Pflanze freigelegt werden. Solche Entdeckungen markieren für den Künstler dann den Abschluß seiner Arbeit. Die Form selber gibt ihre Vollendung bekannt.
Heute in die Galerie Eigenheim hat Stefan Böhm einen Stein mitgebracht, der diese Vollendung kürzlich erst erreicht hat, es ist ein ganz neues Werk: Tepui. Der Kalkstein zeigt hier eisenhaltige Einschlüsse, die sich auf der Oberfläche in korallenfarbenen Punkten zu erkennen geben. Die gesamte Skulptur ist ausschließlich von Hand geschliffen - das sind hier einige. Die Werkzeugspuren, mit denen Stefan Böhm die grobe Struktur des Hochplateaus herausgearbeitet hat, sind und bleiben sichtbar. Es sind die weißen Linien, die die obere Seite der Skulptur durchziehen.
Mich haben diese gewundenen Ellipsen an die Höhenlinien einer topographischen Karte erinnert. Natürlich markieren sie im Werk Stefan Böhms keine gleichen Höhen, sondern wandern ihrerseits aufwärts und abwärts. Aber die Assoziation ist schon sehr mächtig. Und der Künstler läßt sie zu. Die Skulptur zeigt wie keine andere, daß ein Stein bei Stefan Böhm immer das ganze Gebirge repräsentiert. Im Teil ist für ihn das Ganze immer wesenhaft enthalten. Der kleine Brocken ist immer wesenhaft der ganze Fels.
In einigen verdichteten Zeilen hat Stefan Böhm im vergangenen Jahr einmal selber den fließenden Übergang von innerem Wesen in äußere Form in Worte gefaßt. "Die Form ist eine treibende Kraft" hieß es da und gab vor genau einem Jahr auch einer Ausstellung ihren programmatischen Titel. "Die Form ist Stille", ging es weiter, "die Stille ist Kraft;/ die Kraft ist der Geist;/ der Geist ist die Geburt der Form." Hier ist das Zirkuläre beschrieben, das den ewigen Kreislauf des Werdens ausmacht. Die Form steht dabei am Anfang und am Ende und wird vom Künstler mit den Begriffen von Stille, Kraft und Geist als die Energie beschrieben, die unerläßlich ist, um den Prozeß einer Schöpfung in Gang zu setzen. Die Energie entäußert sich in der Form, die Form speichert das Wesen der Dinge.
Es sind solche philosophischen Überlegungen, die Stefan Böhm seit langem auch schon zur Beschäftigung mit mikrophysikalischen Vorgängen treibt. Verschränkung ist ein Werk, das in diesem Kontext entstanden ist. Weitere Werke hier in der Galerie verdanken sich diesem Wissenshorizont um die Wahrscheinlichkeitsaufenthaltsräume der kleinsten Teilchen, die Tunneleffekte und spukhaften Fernwirkungen, die Quanten durchlaufen und bewirken können. Auch in diesem Punkt haben sich beide Künstler, Stefan Böhm und Stephan Dill, auf Anhieb verstanden. Die Beobachtung, daß Zeit und Raum korrespondieren, daß die aufgewendete Zeit beispielsweise im Kunstwerk gespeichert bleibt, daß die Energie künstlerischer Aktionen den Raum füllt, auch wenn sie in der Materialität des Kunstwerks bereits Gestalt angenommen hat und gebunden ist, daß Farben und Formen Energien speichern, die aggressiv machen oder beruhigen können, daß Fläche und Raum sich in der Wirkung ergänzen und unersetzbar füreinander sind - das sind die Fragen, die den Dialog der Künstler in ihren Werken ab heute bestimmen werden; den Dialog im "Spannungsfeld zwischen Fläche und Raum".
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Dr. Cornelie Becker-Lamers, Weimar