Bildnerische Konstellationen - Karl Heinz Bastian

Rede zur Ausstellungseröffnung in der Reihe "Kamelie & Skulptur" der Stiftung Weimarer Klassik

mit dem Künstler, der Abteilungsleiterin Gärten der Klassikstiftung, Frau Ahrendt, und der Galeristin Elke Gatz-Hengst in der Orangerie
alle Fotos dieser Seite: Gereon Lamers
eine Reporterin von Radio Lotte gesellt sich zu uns ...
... und nimmt diskret unsere Ausführungen auf

Weimar, Orangerie des Schlosses Belvedere, 2. März 2013

Lieber Karl Heinz Bastian, sehr geehrte Damen und Herren,

die Metamorphose kann als verbindendes Thema über der heutigen Ausstellungseröffnung stehen. Verbindendes Thema, denn es ist ja keine Ausstellungseröffnung wie jede andere: Die "Bildnerischen Konstellationen" von Karl Heinz Bastian sehen wir hier in der Orangerie inmitten vieler wunderschöner Kamelien, mit deren Blüten die Klassikstiftung traditionell den Winter verabschiedet.

Metamorphose heißt Umgestaltung, ein griechisches Wort, von morphé - die Gestalt oder die Form und metá - dazwischen oder danach. Seit der Antike hat Verwandlung und Umgestaltung die Philosophen und Literaten beschäftigt - Sie alle kennen die "Metamophosen" des römischen Dichters Ovid, der in einer Sammlung vieler kurzer Erzählungen die uns umgebenden Naturerscheinungen auf Verwandlungen göttlicher Wesen zurückführt.

Für beide Teile unserer Ausstellung jedoch ist - wie könnte es hier in Weimar anders sein - Goethe, und zwar konkret sein Gedicht von der "Metamorphose der Pflanzen" ganz zentral. Sie kennen dieses recht lange Gedicht, in dem Goethe das Ruhen des Samens in der Erde, das Keimen und Knospen, das Wachsen hunderter ähnlicher Blätter und schießlich Blüte, Reifung und Verfall zum Werden neuen Lebens anhand von Pflanzen beschreibt, um diesen organischen Prozeß zuletzt wie ein Gleichnis auf die Entwicklung einer Beziehung zwischen zwei Menschen zu übertragen.

Bei einem Besuch bei dem königlich sächsischen Hofgärtner Johann Heinrich Seidel in Dresden fand Goethe 1794 reichliches Anschauungsmaterial für die auffällige Verwandtschaft verschiedener Pflanzen untereinander, und es faszinierte ihn, wie Seidel, der Gärtner, rein aus der Praxis seines langen Lebens für die Blumenzucht zu denselben Beobachtungen gekommen war wie er, Goethe, auf wissenschaftlichem Wege. Goethe besuchte Seidel noch weitere Male und lernte so die Kamelie kennen, die Seidels Sohn, ebenfalls Gärtner, von einer Arbeitsstelle in Paris mitgebracht hatte. Die vom jungen Seidel vor genau 200 Jahren, im durch die Napoleonischen Kriege zerstörten Dresden, begonnene Kamelienzucht legte den Grundstein für den Siegeszug, den diese wunderschöne Blume von nun an durch Europa antrat. Auf Betreiben Goethes ordnete denn auch Großherzog Carl August eine Kamelienzucht hier in Belvedere an, und schon 1820 hatte man es hier auf einen Bestand von 26 Sorten gebracht. Der kalkhaltige Boden machte den Pflanzen allerdings zu schaffen und es bedurfte der ganzen Kunstfertigkeit der Weimarer Gärtner, um den Ansprüchen des Großherzogs an seine Pflanzenzucht gerecht zu werden. Doch der Mühe war es wert: Wie Goethe freuen wir uns an der "sehr schönen Blütenkrone" und deren "dachziegelartig übereinander geschobenen Blätter".

Einen ganz anderen Zugang zum Thema eröffnen uns die Bilder von Karl Heinz Bastian - und damit kommen wir zum zweiten Teil der hiesigen Ausstellung wie auch zum zweiten Teil der "Bildnerischen Konstellationen", der Retrospektive zu Arbeiten des Weimarer Künstlers, deren ersten Teil wir seit der vergangenen Woche in der Kunsthalle "Harry Graf Kessler" am Goetheplatz studieren können.

Karl Heinz Bastian sieht jedes Kunstwerk als Momentaufnahme und Ausschnitt eines Schaffensprozesses - als zeitliche und räumliche Zäsur in einem Kontinuum des Werdens und Sich-Entwickelns. Räumliche Zäsur soll heißen: Die Werke sind wie Ausschnitte aus einer größeren Gestalt. Sie können nach allen Seiten über den Bildrand hinaus weitergedacht werden. Zeitliche Zäsur meint: Die Werke sind Haltepunkte in einem Arbeitsprozeß, der immer wieder Neues, aber auch immer wieder Variationen einer bestimmten Formentwicklung hervorbringt. "Die Gestalt ist ein Bewegliches, ein Werdendes und Vergehendes", hat Bastian als Motto für seine beiden Ausstellungen übernommen - auch dies ein Goethe-Zitat.

Wie nun entstehen solche Momentaufnahmen eines künstlerischen Prozesses, die uns dann als Werke gegenübertreten können? Beispielhaft ist das an der "Metamorphose mit grünem Quadrat" zu sehen - ein Werk, an der Eingangswand rechts, zum Fenster hin gehängt, ein Werk, das bereits im Titel auf den Gedanken der Metamorphose verweist. Das Bild bekam zunächst das feste Gerüst einer gleichbleibenden Form, nämlich die Reihe der grünen Quadrate. Die grünen Quadrate sind alle gleich groß. Bei ihrer Reihung allerdings geht die Verwandlung schon los: Die grünen Quadrate überschneiden sich jeweils an einer Ecke, so daß innerhalb der großen Quadrate gedachte kleine Quadrate der Überschneidung entstehen, die der Künstler farblich hervorhebt. Und Sie sehen: Die grünen Quadrate rücken mit zunehmender Höhe dichter aufeinander, die Fläche ihrer Überschneidung wird schrittweise größer, die Binnenform der kleinen, hellblau abgesetzten Quadrate wächst mit. Die kleinen hellblauen Quadrate werden aber nicht einfach in Ruhe gelassen. Ein schwarzes Dreieck mit zunächst sehr stumpfem, also flachem Winkel, fügt der Fläche der Quadrate mittels optischer Täuschung scheinbar die dritte Dimension hinzu. Auch dieses schwarze Dreieck wächst, bis es sich an der Oberkante des Bildes mit dem Rest des grünen Quadrates die Waage hält. Es sind zwei gleichseitige Dreiecke entstanden - wobei das grüne natürlich, dem Bildungsgesetz der Reihe entsprechend durch die hellblaue Fläche überlagert wird. Mit einem Bild aus dem Pflanzenreich - hier in der Orangerie ist das sicherlich passend - mit einem Bild aus dem Pflanzenreich könnte man sagen, wie Parasiten haben sich die hellblauen Binnenflächen und die schwarzen Dreiecke den grünen Quadraten aufgelagert und drohen ihre "Wirtsform" langsam aber sicher auszulöschen. Wir können sehen, wie eine eigentlich doch so einfach konstruierte Reihe durch die Konsequenz, mit der ihr Bildungsgesetz von Karl Heinz Bastian verfolgt wird, in sich bereits zu einer unglaublich komplexen aufsteigenden Linie wird.

Diese Linie der grünen Quadrate nun wird flankiert von Flächen und Streifen, die ihre Verwandlungen wiederum aus der Grundidee der wachsenden Überlappung der Quadrate beziehen: Man kann sehen, wie jeweils zwei Kanten der blauen Quadrate in der Diagonalen von links unten nach rechts oben verlängert werden und den Raum der breiter werdenden Streifen begrenzen. Diese Streifen verbreitern sich dabei so sehr, daß im oberen Drittel des Bildes das Verhältnis von (Hintergrund)Streifen und (Vordergrund)Flächen kippt - wiederum eine optische Täuschung, die durch die sukzessive Verfärbung der Flächen und Streifen begünstigt wird.

Dabei möchte ich die Detailanalyse eines der Bilder von Karl Heinz Bastian belassen. Diese genaue Beschreibung sollte Ihnen helfen, die Bilder zu betrachten - und sie sollte zeigen, wie vielschichtig die Werke sind, die scheinbar so harmlos als geometrische Konstruktionen, als Kombinationen aus Linien und Farbflächen daherkommen. Eine bildnerische Grundidee, konsequent verfolgt, bringt die komplexesten Kunstwerke hervor.

Denn die Verschiebung der Flächen - in der "Metamorphose mit grünem Quadrat" wie auch in allen anderen Bildern - wird nicht durch lineare Vergrößerung der Abstände vollzogen. Das heißt, die Abstände werden nicht immer im selben Verhältnis größer. Diese Erkenntnis stand ganz am Anfang des künstlerischen Schaffens von Karl Heinz Bastian: Als er begann, seine organischen Wachstumsbilder, wie sie auch unten in der Kunsthalle zu sehen sind, in Strukturen zu übersetzen, machte er zunächst genau diesen "Fehler": Er veränderte die Abstände der gestaltbildenden Formen immer im selben Verhältnis - und war so unzufrieden mit dem Ergebnis, daß er das fertige Werk kurzerhand zersägte! Die lineare Steigerung hatte langweilige, starre Formen hervorgebracht, tot, mit einem Blick zu überschauen und ohne innere Bewegung - Formen, wie wir sie in der Architektur einiger Jahrzehnte zu erleiden hatten - in Ost wie West.

Denn auch für die Architektur hat Karl Heinz Bastian einen Blick. Als Restaurator hatte er u.a. mit der Freilegung von Wandgemälden im Schloß Großkochberg zu tun - das ist fast 40 Jahre her - und sogar auch mit dem Langhaus dieser Orangerie. Bastian weiß, daß Formen, um lebendig zu sein und dadurch lebendig zu machen, in sich springen und vielfältig erscheinen müssen. Er schuf Werke, die an den Fußboden des Florentiner Doms erinnern (falls Sie dessen Struktur vor Augen haben): Werke, die durch die Anordnung ihrer geometrischen, farblich verschieden gefaßten Formen vor unseren Augen hin und her zu springen scheinen - stellt eine Form eine Vertiefung dar, oder kommt sie uns optisch entgegen? Das Werk "Formengleiche Verwandlung" von 2002 stellt diesen Mechanismus am deutlichsten aus, es ist aber nicht hier - die "Verwandlung in der Diagonalen" hier oben an der Wand im Eingangsbereich, das linke Bild, ist aber demselben Geist entsprungen.

Die "Verwandlung in der Diagonalen" spielt mit dem Betrachter - scheint den Blick in den Himmel aus einem engen Innenhof heraus darzustellen. Aber die Farben der "Mauern" werden nicht nach oben, sondern nach unten hin heller. Ihre Binnenformen ändern sich gerade nur so stark, daß die Struktur lebendig bleibt. Die Vergrößerung der kleinen Dreiecke ist kaum wahrnehmbar. Sie tritt vollständig hinter ihrer Funktion zurück, die Fläche vor dem Erstarren zu bewahren.

Dies alles nehmen wir auf den ersten Blick unbewußt war. Wir brauchen aber Zeit, um es uns klar zu machen, warum die Bilder von Karl Heinz Bastian so auf uns wirken, wie sie es tun. Das bringt die Kontemplation, die die Bilder - und der Künstler - beim Betrachten von uns einfordern. Bastians Bilder speichern Zeit - die Zeit, die sie brauchten, um zu entstehen, konzeptionell wie technisch. Denn beim Mischen der Silikatfarben für die feinen Farbabstufungen der einzelnen Flächen mußte Bastian häufig Trockenproben herstellen, die Trocknung der Farben auf einer Materialprobe abwarten, um das rechte Mischungsverhältnis einschätzen zu können. Besonders gut zu sehen ist das in den kaum merklichen Veränderungen der Farbtöne in der "Unendlichen Verwandlung" aus dem Jahr 1996.

Die Bilder von Karl Heinz Bastian speichern Zeit - und sie geben uns diese Zeit zurück, wenn wir uns in ihre Betrachtung und Analyse versenken.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

Dr. Cornelie Becker-Lamers, Weimar