Im Labyrinth des Lebens. Eine Einführung in das Werk der Bildhauerin Jess Fuller
Das Labyrinth ist ein Leitmotiv in der künstlerischen Arbeit der Bildhauerin und Konzeptkünstlerin Jess Fuller. Nicht in erster Linie aufgrund seiner esoterischen Inhalte und mythologischen Traditionen, wohl aber aufgrund seiner weltweiten Verbreitung und seiner architektonisch reizvollen Form. Die kulturübergreifenden Funde solcher runden, offensichtlich rituell-religiösen Anlagen legen den Gedanken nahe, hier werde einem allgemein-menschlichen Bedürfnis entsprochen, in Verzweigungen und Scheidewegen als Abbild des Lebenslaufes immer wieder spielerisch den eigenen Weg zu finden: "Searching" nennt Jess Fuller denn auch den Aufbau schmaler Stelen mit spitz-länglichen Aluminiumfiguren, ein Werk aus dem Jahr 2015.
Jess Fuller pflanzt Weiden- und Buchenlabyrinthe, sie schmiedet labyrinthische Geduldsspiele und baut labyrinthische Installationen aus Holz: "All at sea" heißt die auf der artthuer 2016 präsentierte hochreflektierte Installation, die in hölzernen Wellen und beschrifteten Durchgangssperren als Thematisierung des Flüchtlingsdramas auf dem Mittelmeer lesbar ist. 2017 entsteht mit dem "Sprachlabyrinth" auf Basis von 50 historischen Türen eine Installation, die spielerisch den Blick der Besucher auf Idiome der deutschen Sprache lenkt - eine Zusammenarbeit mit dem Schillermuseum Rudolstadt, die Projekte für Jugendliche einschließt.
Die Verbindung von Holz und Metall ist typisch für die Arbeit Jess Fullers, seit sie 1997 nach Deutschland kam. 1969 in Hastings/ England geboren, absolvierte sie 1989 ein Grundstudium in Druckgrafik und schloß nach zwei Auslandssemestern auf Zypern 1993 ihre Ausbildung an der Sunderland University mit einem Diplom in Bildhauerei ab. Seither ist Jess Fuller als freischaffende Künstlerin tätig und unterrichtete zunächst vier Jahre lang Kreative Metallgestaltung an einer Berufsschule in Nottingham. So kam sie in Kontakt mit dem Schmiedehandwerk - Erfahrungen, die sie in einem ersten Schüssellabyrinth noch in ihrer Heimat umsetzte. Durch ihre Zusammenarbeit mit Holzbildhauern hier in Deutschland entstand die nunmehr charakteristische Verbindung von Holz und Metall in Jess Fullers Arbeiten.
Im Vordergrund des künstlerischen Schaffens steht für Jess Fuller stets die Idee des kontemplativen Spielens, zu welchem sie mit ihrer Kunst Anregung und Gelegenheiten geben möchte. "Denn", wie sie Schiller zitiert, "der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt." So liebt Jess Fuller kinetische Kunstwerke, die in ihrer Rückkehr zum Ruhezustand das Zeitmaß natürlicher Bewegungen auf den Betrachter übertragen. Sie fertigt Schaukeln und Klanglabyrinthe, die als dendrophone Apparaturen kleine Hölzer zum Klingen bringen. "The nerves" - "die Nerven" - ist der Name eines Klangobjekts, das in einem Holzrahmen labile Stahlfedern aufspannt. Eine Kugel, in Bewegung gesetzt, entlockt den Stahlfedern Geräusche - ein Wortspiel mit dem Idiom der "nerves of steel" - zu deutsch "Nerven wie Drahtseile".
Im Rahmen etlicher Symposien hat Jess Fuller Kunstwerke für den öffentlichen Raum wie etwa die Kunstpromenade Zinnowitz oder den "Garten der Labyrinthe" im Kunstraum Kamsdorf geschaffen. Mit dem "Königsweg" ist sie im Stadtraum von Gotha präsent. In "Walls to Explore", einer 2016 entstandenen Landschaftsskulptur in Palästina, engagiert sich Jess Fuller auch sozial und bezieht mit ihrer Kunst politisch Stellung.
Für den Galerie(außen)raum eignen sich neben ihren Schaukelmöbeln und Klangobjekten auch kleinere Arbeiten wie die Wandreliefs, die den Münzfunden mit dem Abbild des berühmten Labyrinths von Knossos auf Kreta nachempfunden sind oder die Aluminiumgüsse "Lebensfreude", einer Reihe von Variationen der offenen Kreisform. Mit "Lebensfreude" spielt die Künstlerin selbst - die Entwürfe entstehen als Freihandzeichnungen im "Riesensandkasten" (Jess Fuller) der Alugießerei.
Jess Fuller ist Mitglied des Verbandes Bildender Künstler Thüringen. Sie lebt und arbeitet in Rudolstadt.
Dr. Cornelie Becker-Lamers, Weimar