Hans Peter Marschewski. Acryl- und Ölmalerei
Rede zur Eröffnung der Ausstellung
Thüringer Landtag, Erfurt, Dienstag, 23. Januar 2018, 17 Uhr
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident, liebe Frau Marschewski, lieber Hans Peter Marschewski, sehr geehrte Damen und Herren,
wer Hans Peter Marschewski kennenlernt, begegnet einem Menschen voller Lebensfreude, voller Optimismus und Energie. Seine Begeisterungsfähigkeit, die sich Erzählung um Erzählung mitteilt und wirklich ansteckend ist, treibt ihn von der Schwärmerei über Naturphänomene, die Tierwelt und fremde Städte bis in philosophische Überlegungen zum Zusammenhalt unserer Welt und ihrer so unterschiedlichen Gesellschaften. Die Sorgen, die ihn dabei umtreiben - denn die allenthalben verhandelten Probleme um die Gefährdung einzelner Tierarten durch menschliche Profitgier, die Gefährdung einzelner Zivilisationen durch den Raubbau an ihren Lebensräumen, ja die Gefährdung der Menschheit durch Kriege oder unsere Eingriffe in den Kreislauf der Natur und ins Klimageschehen sind ihm womöglich noch drängender präsent als anderen unter uns - die Sorgen, die ihn dabei umtreiben, formuliert er dabei niemals ohne Hoffnung auf eine Wendung zum Guten, niemals ohne Hoffnung auf Rettung: "Wir müssen doch ..., damit ..." oder " ... damit nicht ..." Hans Peter Marschewski ist pflichtbewußt und perfektionistisch in seinen Problemlösungsansätzen.
Warum erzähle ich Ihnen das alles? Ich müßte das ja vielleicht gar nicht. Aber bei künstlerischen Autodidakten, wie es Hans Peter Marschewski einer ist, ist man immer versucht, zunächst nach dem Menschen hinter der Kunst zu fragen. Und daher zu erläutern, daß dieser Maler einfach alles liebt: Er liebt das Meer und den Wind, die Küste und fremde Länder, er liebt die Menschen und seine Familie sowieso, er liebt die Gerechtigkeit und die Rücksichtnahme, die Achtung vor anderem und anderen - kurz: Er liebt das Leben und möchte für alle alles so gut wie möglich eingerichtet wissen.
Ende 1948 in Meetzen in Mecklenburg geboren, befuhr er zwischen seinem 17. und seinem 23. Lebensjahr die Weltmeere als Hochseefischer, schlug einen Studienplatz für Malerei und Graphik an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee aus und ging zur Polizei, für die er bis zu seiner Berentung im Jahr 2008 in leitender Funktion tätig war.
Gemalt hat Hans Peter Marschewski seit seiner Schulzeit. Schon damals gehörte er Zeichenzirkeln an und genoß eine Förderung, die ihn besagte Aufnahmeprüfung in Berlin-Weißensee bestehen ließ.
Die völlig anderen Möglichkeiten der Materialbeschaffung an Farben und Leinwänden brachten nach der Wende neue Perspektiven für die künstlerische Arbeit mit sich - und Hans Peter Marschewski verstärkt an die Staffelei. Seither hat er sich in fortlaufender selbständiger Weiterbildung und im steten Tun und Übermalen mehr und mehr in den Stand versetzt, seine Liebe und Begeisterung, aber auch seine Sorgen und die daraus resultierenden Ermahnungen in Bildende Kunst umzusetzen und für uns direkt auf der Leinwand festzuhalten. Der sprachliche Dialog über die Welt und über das, was andere Gott nennen, hat eine neue Dimension bekommen. Die Werke sprechen jetzt zu uns - über Entfernungen und Zeiträume hinweg.
Was mit naturalistischen Blumen- und Landschaftsbildern, mit auf die Leinwand gebannten Erinnerungen an fremde Städte und mit eindrucksvollen Darstellungen der stürmischen See begann, entwickelte sich in den vergangenen 25 Jahren zu dem, was Sie hier sehen: Zu einem Œuvre nämlich von bemerkenswerter künstlerischer Eigenständigkeit. Auch wo die Motive konstant bleiben - wie erwähnt, läßt das Meer den Maler nicht los, und auch die Urlaubserinnerung und der Blick in die freie Landschaft suchen immer wieder ihren Weg in die künstlerische Form - entwickelt sich die Technik und der immer mutiger und selbstbewußter werdende Zugriff des Künstlers auf die darstellerischen Mittel und Formen immer weiter.
Wie gesagt: Ich hätte gar nicht so viel über den Menschen Hans Peter Marschewski sprechen müssen. Ich hätte auch direkt bei der Kunst anfangen können: Die handwerkliche Perfektion war von Beginn seiner konzentrierten künstlerischen Arbeit an gegeben, denn früh hatte sich geübt, was - im Grunde ohne es zu wollen oder für möglich zu halten - im Laufe der Zeit zum Meister geworden ist. Der immer freiere Umgang mit Pinsel und Spachtel verleiht den Gemälden Hans Peter Marschewskis mittlerweile mehr und mehr Tiefe, Lebendigkeit und eine Eigenständigkeit im künstlerischen Ausdruck, die seinen Werken eine spezifische Handschrift zu verleihen beginnt. Mehr und mehr lösen sich die wahrgenommenen Formen auf dem Weg ins Bild auf - sehr gut beispielsweise zu beobachten in den Acrylbildern "Meer 1 rot" und "Meer 2 blau" hier rechts an der Wand. Der Meereshorizont - im oberen Stockwerk füllt eine Auswahl aus Marschewskis Meereslandschaften eine ganze Wand - wird hier in einer Weise verfremdet, die das ursprüngliche Motiv völlig in den Hintergrund treten läßt, unkenntlich macht und verwandelt. Im einen Fall löst es sich in ein Fest der Farben auf, und nur der Titel "Meer 2 blau" gibt dem Betrachter Anlaß, eine sich spiegelnde Sonne, Wolkenfetzen, Gischt, blauen Himmel und damit auch blaues Meer beim Anblick zu assoziieren. Im anderen Fall wird - aber wiederum nur aufgrund des Hinweises im Bildtitel - das Meer zum Blutbad, zum in Blut verwandeltes Wasser, zur ersten der zehn ägyptischen Plagen, in denen Moses dem Pharao und seinem Volk eine Naturkatastrophe nach der anderen beschert, bis dieser das Volk der Israeliten aus seinen Frondiensten entläßt - Sie kennen die Geschichte aus dem Zweiten Buch Mose, Exodus, die vielfach in der Bildenden Kunst thematisiert wurde. Die beiden Bilder kämen auch ohne Titel aus und würden dann weitere Assoziationen zulassen. Aber dem Künstler ist es wichtig, Titel zu geben, die den Betrachter nicht vollständig im Dunkeln lassen, die über die Entstehung des jeweiligen Werkes Auskunft und die Intention und den künstlerischen Antrieb zu erkennen geben. Denn Hans Peter Marschewski möchte wirklich etwas aussagen mit seiner Kunst, mein Hinweis vorhin auf die Ausweitung des Dialoges war nicht aus der Luft gegriffen, er möchte etwas aussagen über die Welt und ihre Schönheit, über das Meer und seine Gewalt, über Menschen und ihre Lebensumstände, über die Natur und ihre Gefährdung.
Ich habe lange überlegt, ob ihn womöglich genau das als Autodidakten zu erkennen gibt - dieses, daß Hans Peter Marschewski seine ureigensten Gedanken und Gefühle in Bildende Kunst gießt und gießen möchte - ohne Rücksicht auf strategische Überlegungen zum Kunstmarkt und dem Kunstschaffen anderer, von denen man sich abzuheben hätte und ohne die Kunst vollständig in der politischen Stellungnehme aufgehen zu lassen. Ich kann es nicht sagen - ich weiß nur, daß die Feuilletons derzeit regelmäßig Kritik üben an der Kuratorenkunst der großen Biennalen, documenten und Skulpturenprojekte einerseits, in denen der Untergang der darstellerischen Arbeit in einer plakativen Politisierung der Kunst zu verzeichnen scheint, und an der Kritik des Kunstmarktes andererseits, in denen raffinierte Konzeptualisten millionenschwere Objekte arrangieren, deren Galeriepreisen auf der Seite des Materials und der Erarbeitungszeit kein adäquater Gegenwert gegenübersteht: Ihr Wert besteht im Prestigegewinn des Käufers, sich ein solches häufig bewußt und anerkanntermaßen sinnloses Kunstwerk leisten zu können.
Der Mut zum einfach schönen Bild, wie wir sie im oberen Stockwerk sehen, ist in der Bildenden Kunst bekanntlich abhanden gekommen. Zu einem Bild, in dem Schönheit nicht nur zitathaft reproduziert und ironisiert würde; zu einer Darstellung, deren hoher Grad an Abbildhaftigkeit den Wert des Werkes gerade nicht mindern würde, sondern Voraussetzung wäre für die Möglichkeit der Wiedererkennung und damit der Erinnerung des Betrachters an einen schönen Ort, einige schöne Stunden, eine Liebe, eine Erkenntnis oder an den Traum von einer Kindheit, die diesen Namen verdiente. Hans Peter Marschewski besitzt diesen Mut noch. Er kann ihn sich eben auch leisten. Und etliche Mitarbeiter des Landtags, Abgeordnete und Gäste haben bereits am Donnerstag, als wir die Ausstellung gehängt haben, dem Künstler diesen seinen Mut gedankt - indem sie stehen blieben und zum Teil auch fragten, ob sie ein Werk erwerben könnten. Sie alle, die stehenblieben und die Werke auf sich wirken ließen, haben gespürt, wie hier Begeisterung, Liebe und Leben im Bild aufgehoben sind - Begeisterung, mit der Hans Peter Marschewski manchmal nirgendwo hin kann als auf die Leinwand. Seine Bilder sind ein Stück gespeichertes Glück - tatsächlich mal ein Stück Glück, das man kaufen kann.
Aber ich darf Hans Peter Marschewski hier nicht auf den Genremaler festnageln. Das ist ja das Besondere an seiner Kunst, die völlig frei und in völliger finanzieller Unabhängigkeit entsteht: Daß er sich in vielen Techniken ausprobiert, daß Ölgemälde und Acrylbilder neben reliefartigen Mischtechniken und Materialcollagen stehen und auch die Thematik der Werke mal ganz affirmativ und reproduktiv wie im Falle der Blumenbilder, mal aber auch neu, hintergründig und intellektuell ausdeutbar ist.
Im Eingangsbereich haben wir darum die Werke plaziert, die Hans Peter Marschewski derzeit am meisten am Herzen liegen. Es sind die Bilder, die nicht die Schönheit der uns anvertrauten Welt besingen, sondern die uns ihre Verletzlichkeit zu Bewußtsein bringen und vor ihrer Gefährdung durch uns Menschen warnen wollen.
So ist das Werk "Jahresringe" etwa eine Materialcollage, in der verklebtes Holz und Steine das nachempfundene Abbild der Schnittfläche eines alten Baumes ergänzen. Die Jahresringe sind dabei mit einem Zackenkamm in Farbe gezogen, also kein Materialdruck, sondern nachgebildet. Das Abbild reicht aber völlig aus, um uns die vielen Informationen in Erinnerung zu rufen, die ein solcher Baumquerschnitt bereithält: Zum einen das hohe Alter des Baumes und seine daraus resultierende Ehrwürdigkeit. Zum andern die Individualität des Baumes - Sie wissen, die Jahresringe eines Baumes sind fast so charakteristisch wie ein menschlicher Fingerabdruck. Durch die jährlich unterschiedlichen Wachstumsbedingungen sind nie zwei Jahresringe oder ihre Abstände gleich. Jedes Jahrzehnt bildet ein bestimmtes Muster in den Jahresringen der Bäume ab, und zwar so genau, daß die Geowissenschaft eine Datierungsmethode daraus erarbeiten konnte, die Dendrochronologie. Mit Hilfe des dendrochronologischen Kalenders kann man jahrhundertealte Bauwerke oder Fundstücke anhand der in ihnen verwendeten Balken und Baumabschnitte datieren. Unsere Kultur, heißt das auch, ist unabhängig von den Bäumen vollständig undenkbar. Weiterhin läßt die Abfolge der Jahresringe an die verflossenen Jahre, an das Alter eines Menschen denken, an die Abfolge der Generationen.
Von Goethe stammt das Gedicht "Grenzen der Menschheit". Es skizziert die "Grenzen der Menschheit" im Vergleich mit den Göttern, aber auch im Vergleich mit den Bäumen und Pflanzen. Ich habe die Verse sofort bei Anblick des Werkes "Jahresringe" assoziiert.
"Ein kleiner Ring/ begrenzt unser Leben,/ und viele Geschlechter/ reihen sie dauernd,/ an ihres Daseins/ unendliche Kette",
so der Schluß des relativ kurzen Gedichts - Verse, die im Vergleich mit dem Kettenglied jeden einzelnen Menschen relativieren und zugleich seine Unersetzbarkeit herausstellen, denn wenn ein einziger fehlt - egal wer - ist die Kette kaputt.
Menschen und Bäume haben viele Gemeinsamkeiten in ihrer Individualität, ihrer Vergleichbarkeit in der Gruppe, ihrer Verletzlichkeit und ihrem Verwurzeltsein irgendwo in der Welt. So ist es kein Zufall, daß Sagen und Märchen voll von Verwandlungsgeschichten um die Gestalten von Baum und Mensch sind. Auch im Werk Hans Peter Marschewskis vollzieht sich eine solche Verwandlung, wir haben sie gleich zu Anfang der Ausstellung gehängt. Zwei Bäume - entstanden aus der Fotografie eines abgestorbenen Baumes in den Hochlagen der Alpenregion - ragen kahl, aber kräftig in den Himmel, daneben das Werk "Rettet unsere Erde", das einen Menschen - ebenfalls lädiert, fast schon krüppelhaft - vor bleichem Mond zeigt, mit etwas Undefinierbarem unter dem Arm. Hans Peter Marschewski hat die formale Entwicklung des Motivs noch weiter getrieben und drei Bilder mit der noch weiter zum bloßen Keil reduzierten Form eines seitlich verkürzten Kreuzes geschaffen. "Spannungsfeld" heißen die Arbeiten und lassen in ihrer formalen Reduktion ganz verschiedene Assoziationen zu - von der versehrten Gestalt bis zum Keil, der als Werkzeug gebraucht oder irgendwo hineingetrieben würde, um seinerseits zu verletzen.
Die letztgenannten Werke - die beiden Bäume, "Rettet unsere Erde" und die "Spannungsfelder" sind in einer Mischtechnik geschaffen, in der Marmormehl auf die Leinwand aufgebracht und dann mit Farbe vermischt und überstrichen wird. Die Bildoberfläche bröckelt und bricht dadurch und öffnet so einen Spielraum für verschiedene künstlerische Aussageabsichten. Das faszinierendste Werk dieser Reihe ist sicherlich der Elefant, der Ihnen allen aufgefallen sein wird. Die rissige Oberfläche der Mischtechnik bildet die rissige Elefantenhaut perfekt ab. Aber um dieses Abbild geht es in dem Fall nicht. Das Bild heißt "Elfenbein" und lenkt unsere Aufmerksamkeit durch seinen Titel sofort auf die Gefährdung dieser Tierart, die aus Profitgier erlegt werden, weil Elefantenjäger die Stoßzähne zu Geld machen wollen.
"Das Zerbrechen der Mona Lisa", ein weiteres Werk dieser Reihe und das unverkäufliche Lieblingsbild seines Schöpfers, entstand unter dem Eindruck der Zerstörung von Palmyra. In Bezug auf die abendländische Kultur stellt das Bild das Pendant zu den "Jahresringen" und zu "Elfenbein" dar: Wie die Natur und die Tierarten, so sollten uns allen auch die erinnerbaren Zeugnisse der Menschheitsgeschichte teuer und schützenswert sein.
Zur Beurteilung des künstlerischen Werkes von Hans Peter Marschewski möchte ich abschließend festhalten, was mir entscheidend erscheint: nämlich daß die Kunstwerke nicht in der Umsetzung ihrer thematischen Vorgaben steckenbleiben und sich insofern kategorial von dem abheben, was ich in der Mitte meiner Rede als plakative politisierte Kunst erwähnt habe. Hans Peter Marschewski läßt sich durch seine Aussageabsicht nie von der formalen Durchdringung, Umsetzung und künstlerischen Überformung seiner Werke entbinden. Niemals gäbe er sich mit handwerklich halbfertigen Arbeiten zufrieden. Alle Bilder, die er zeigt, halten der Bewertung auf der Grundlage innerkünstlerischer Qualitätskriterien stand. Und so kommt es, daß die Werke alle auch ohne jedes Vorwissen um die jeweilige künstlerische Intention eine Wirkung entfalten, sich farblich, formal und zum Teil in ihrer Abbildfunktion erschließen und interpretierbar sind.
Ich freue mich auf das, was da noch kommen wird.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Dr. Cornelie Becker-Lamers, Weimar