Hans Peter Marschewski. Malerei

Rede zur Ausstellungseröffnung

Saalegalerie Saalfeld, Samstag, 17. November 17 Uhr

Sehr geehrte Frau Dr. Kratschmer-Kroneck, sehr geehrter Herr Bürgermeister, sehr geehrter Herr Abgeordneter, lieber Hans Peter Marschewski, sehr geehrte Damen und Herren,

in Saalfeld den Maler Hans-Peter Marschewski vorzustellen, heißt, Eulen nach Athen zu tragen. Seit 20 Jahren ist er hier im Kunstverein aktiv, Sie kennen ihn alle vermutlich sehr gut.

Ich kann meine Hinweise zur Biographie also auf ein Minimum beschränken - geboren wurde Marschewski vor 70 Jahren nahe Schwerin, kam aber bereits als Schüler nach Saalfeld. Hier hat er seine zweite Heimat gefunden, in die er auch nach seiner Zeit als Matrose der Hochseefischerei oder seines Studiums in Berlin zurückkehrte. Die erste Heimat verläßt ihn dennoch nicht - Sie alle kennen Marschewskis Vorliebe für maritime Bildmotive in verschiedenen Techniken - Segelboote in Aquerell, Hochseetrawler in Öl, aber auch die Ostseeküste, die er in allen Jahreszeiten malt, auch als verschneite Landschaft, die Dünen und die typischen Häuser Mecklenburgs, aber auch die vielen Bilder, die Stimmungen auf dem offenen Meer einfangen: ob das aufziehende Gewitter sind und bedrohliche Wolkenformationen, oder die ruhige See und das faszinierende Lichtspiel des Sonnenuntergangs in den dunstige Luftschichten eines weiten Himmels.

Doch auch mit der Stadt und dem Kreis Saalfeld und Rudolstadt setzt Hans Peter Marschewski sich seit Jahren auseinander. Schon zehn Jahre ist es her, daß er präzise und stimmungsvolle Stadtansichten als monochrom kolorierte Tuschezeichnungen für Kalenderblätter schuf: Kirchen, Stadttore, Rathaus, Schloßansichten auch von Großkochberg. Für die heutige Ausstellung hat er eigens ein Werk bewußt als Hommage an die Stadt geschaffen, in der er einst bei Josef Süßmilch und Herbert Strecha die ersten Anleitungen im Zeichnen erhielt: Das Bild des Märchendoms in den Saalfelder Feengrotten.

Auch an diesem Gemälde zeigt sich wieder die überragende Fähigkeit von Hans Peter Marschewski, ein Bildsujet nicht nur naturgetreu abzubilden, sondern auch die Stimmung des Ortes mit bildnerischen Mitteln so gut einzufangen, als wäre man da. Wozu auch beiträgt, daß Hans Peter Marschewski den Alaunschiefer im Bild plastisch aufbaut. In diese Art der Bilder von Hans Peter Marschewski taucht man als Betrachter tatsächlich sofort ein.

Immer wieder beschäftigt Marschewski in der Darstellung auch die menschliche Figur oder sogar das Portrait. Aus dem Jahr 1999 bereits datiert das entzückende Bildnis eines selbstbewußt und keck lächelnden Knaben, der im Oberkiefer gerade die beiden mittleren Milchzähne verloren hat. Hier in der Ausstellung sehen wir den "Musikanten" und das "Paar mit rotem Schirm", die allerdings nicht mehr als Figuren im Vordergrund stehen, sondern bereits der Darstellung einer städtischen Stimmung oder einer sozialen Situation im Gesamtbild dienen. In "Nach dem Regen" hat Hans Peter Marschewski meines Erachtens den Weg gefunden, Figuren perfekt in seine Bilder zu integrieren. Eher im Bildhintergrund angesiedelt, werden die Gestalten mit wenigen sicher gesetzten Pinselstrichen und Farbnuancen eher skizziert als wirklich ausgemalt - aber doch so weit ausgestaltet, daß sie der bloßen Andeutung entgehen. Hauptsächliches Sujet - das sagt auch der Titel - ist die Darstellung der Klarheit der Luft nach einem Regenguß. Ein kühnes Unterfangen, muß der Maler doch zweierlei ins Bild setzen, was eigentlich nicht darstellbar ist: Erstens das, was gerade nicht da ist: Kein Dunst, kein Nebel, kein Regen, kein Rauch, kein Schnee - all das eben gerade nicht, sondern die Klarheit der Luft. Es ist eigentlich die Frage nach der Darstellbarkeit der Abwesenheit. Und zweitens (das Bild heißt ja: Nach dem Regen): Er muß darstellen, was nicht mehr stattfindet, aber bis eben stattgefunden hat, nämlich daß es regnete. Wie geht so etwas? Wie bringt man so etwas in ein Bild? Marschewski hat es geschafft - und zwar so gut, daß man dem Bild nicht mehr ansieht, wie sehr er darum gerungen hat.

Selbstverständlich kann jeder Maler solch expressiver Gemälde mit den Erfahrungen seines Publikums und mit unseren Wahrnehmungsmustern rechnen. Er kann und muß sich sogar darauf verlassen, daß wir alle auch bestimmte Darstellungsmuster erlernt haben - als kulturelles Allgemeingut. Diese Erfahrungen und Wahrnehmungsmuster sagen uns, daß Parkwege nicht bunt sind. Erscheinen sie bunt, dann spiegelt sich da irgendwas wahrscheinlich in Pfützen. Sie sagen uns weiterhin, daß Pfützen bei trübem Wetter und bedecktem Himmel selber trüb erscheinen. Helle Farben gibt es dann nicht. Außerdem wissen wir, daß wir nur bei "guter Sicht" weit sehen können, daß also nur bei klarer Luft Farben bei wachsender Entfernung nicht verblassen, Konturen nicht verschwimmen, Gegenstände und Landschaft kilometerweit gestochen scharf erscheinen.

Die Betrachter des Bildes bringen dieses Wissen unbewußt mit. Der Maler selber natürlich auch - genau dieses Teilen unbewußter Erfahrungen macht ja eine "Kultur" aus. Um all dies aber darstellerisch zu nutzen, muß er es sich entweder bewußt machen, oder intuitiv beim Malen einsetzen. Ich vermute, letzteres ist geschehen und hat genau deshalb und genau so die perfekte Stimmigkeit und das Organische dieses Bildes hervorgebracht. Ich glaube, Herr Marschewski denkt unglaublich viel - aber nicht beim Malen. Beim Malen malt er. Mit groben Gesten des Spachtels hat er also vor allem viel ungemischtes, fast grelles Weiß aufgebracht: Zur Andeutung der Blätter in den Bäumen die, noch regennaß, offenbar das Sonnenlicht reflektieren. Vor allem aber auf dem Parkweg zur Andeutung von Pfützen, die wiederum reines Licht zu spiegeln scheinen. Die Andeutung einer Spiegelung vor allem der vier rechten Alleebäume tut ein übriges, um es uns als ausgemachte Tatsache erscheinen zu lassen, daß der Parkweg naß ist - daß es also geregnet hat. Die Figuren im Hintergrund aber stehen, warten aufeinander, flanieren entspannt, die Hände in den Hosentaschen und ohne "roten Schirm" durch die Parkallee - der Regen muß vorüber sein. Wie scharf in den äußeren Konturen und wie klarfarbig die Figuren trotz ihrer Entfernung im Bildmittelgrund sind, zeigt uns, zu welcher Klarheit der Regen die Luft gereinigt hat.

Die Parkwiesen erscheinen gelblich, am Wegrand scheinen rotbraune Blätter am Boden zu liegen - es ist Herbst, die Blätter fallen. Noch aber hängen doch genügend an den Ästen, die Hans Peter Marschewski nicht in Grün, sondern in Gelb und Blau hält - den Farben, die Goethe in seiner Farbenlehre als die beiden Urfarben bestimmt. Goethe weist diesen Urfarben auch emotionale Bedeutung zu, nämlich die Ferne und die Abstoßung dem kühlen Blau (Himmel, Meer), die Nähe und Anziehung dem warmen Gelb. Folgerichtig sind die Blätter der Bäume im Bildvordergrund in Gelb und spiegelndem Weiß gehalten, die Bäume im Bildhintergrund erscheinen Blau - aber in einem klaren und kräften Blau, das uns wie gesagt die "gute Sicht" und die Klarheit der Luft signalisiert. So klar, daß beinahe nur noch die Urfarben übrig bleiben.

So! Nun müssen wir aber schleunigst noch auf die anderen Figurengruppen zu sprechen kommen. In den "Gruppen"-Bildern geht es tatsächlich um die Darstellung der Gruppe, in der das Individuum verschwindet. Manchmal sind zwei Gruppen nebeneinander gestellt, die aneinander vorbei gehen, aneinander vorbei sehen und nebeneinander her leben. Die Figuren haben keine Gesichter, obwohl wir als Betrachter eigentlich ganz nah dran sind. Das heißt wohl: Wir erkennen sie nicht. Es ist die gesichtslose Masse, als die wir ganze Gruppen von Menschen oder sozialen Schichten in unserer Gesellschaft ausgrenzen. In "Gruppe II" steht unverkennbar mehrfach die Kreuzform im Hintergrund - formale Gestaltung im Bildaufbau, aber auch Hinweis auf unsere kulturellen Wurzeln im Christentum und auf die Rolle der Kirchen in diesen sozialen Konflikten.

Wir haben bisher über die - wie abstrahiert auch immer - doch noch von der Figur und dem Gegenstand her kommenden Bilder gesprochen. Eigentlich will Hans Peter Marschewski in letzter Zeit aber ganz woanders hin. Mehr und mehr abstrahiert er nicht nur die Darstellung, sondern das Bildsujet selber - also einen Arbeitsschritt vorher - und stellt sich Aufgaben wie das Malen eines "Spannungsfeldes" oder des sprichwörtlichen "steinigen Weges", der ebenfalls sprichwörtlichen und übertragbaren "Bröckelnden Fassade" oder der Gefährdung unserer Kultur (im "Zerbrechen der Mona Lisa"). Solche Bilder malt Hans Peter Marschewski dann nicht nur, sondern baut sie regelrecht in Mischtechniken auf - aus untergestreutem Marmormehl, aus Collagen mit Naturmaterialien, aus Gardinenstoffen, Schoten, aufgeklebten Steinen etc. Er experimentiert mit Acryl und Lack, "Der steinige Weg" sieht daher, finde ich, vollständig künstlich aus - das Bild ist komplett mit Lack überzogen. Das verwundert vielleicht weniger, wenn man weiß, daß hier Bilder aus dem riskanten Freizeitsport im Hintergrund standen - Paraglyding, Bergsteigen und anderes.

Es ist gerade dieses Spektrum der ungegenständlichen Bilder, in welchem sich Hans Peter Marschewski politisch äußert. In ungegenständlichen Bildern - und das ist gut so, denn nichts ist der Kunst abträglicher als ihre platte Politisierung, gewissermaßen der sichtbare gehobene Zeigefinger. Ich möchte an dieser Stelle besonders auf ein Werk aufmerksam machen: "Licht im Dunkel I" heißt es. Es ist ein echter Marschewski, würde ich sagen, das heißt: Es kommt vorderhand ganz harmlos daher - Licht im Dunkel halt -, hat aber einen doppelten Boden. Wenn Sie schauen, ist da nämlich nicht ein Licht im Dunkel. Sondern zwei. Mindestens zwei. Eigentlich leuchtet es an verschiedensten Stellen im Bild so ein bißchen vor sich hin. Als ich begonnen habe, über das Bild nachzudenken, fielen mit die Scharen messianischer Wunderheiler mit ihren Lösungsansätzen ein, die jedes Problem und jede soziale Schieflage sofort auf den Plan ruft. "Licht im Dunkel I" läßt uns fragen: Welches Licht ist das richtige? Welchem soll ich folgen, und welches ist womöglich wie das Licht des Tiefseefisches, das mich als die Beute direkt in sein geöffnetes Maul lockt? - "Licht im Dunkel II" scheint die Situation geklärt zu haben: Es gibt nur ein echtes Licht. Und der Maler hat es gefunden.

In die Reihe der völlig gegenstandslosen Bilder gehören auch die Paare der Auswaschungen und der Warm/ Kalt-Kontraste, bei denen das Farbenpaar Rot/Blau eine besondere Rolle spielt (ein Farbenpaar, das übrigens auch im Paar mit dem roten Regenschirm eingesetzt wird). Wir treffen auf dieses Farbenpaar auch in den abstrakten Gemälden "Meer rot" und "Meer blau" sowie in der Vierergruppe der "Sozialen Spannungen", die im Landtag Anfang dieses Jahres so prominent präsentiert wurden. Ein weiteres Bild lebt von diesem Farbkontrast, eine völlig abstrakte Darstellung der Johanniskirche - komplett in alarmierendem Rot gehalten, mit blauen Farbsprengseln an den Rändern des Bildes. Es konnte in dieser Ausstellung hier nicht gehängt werden, soll mir aber als Ausblick dienen, daß in dieser Richtung von Hans Peter Marschewski noch einiges zu erwarten ist.

Ich wünsche Ihnen, lieber Herr Marschewski, ein langes Leben und noch recht viel Schaffenskraft und den kommenden Jahren!

Vielen Dank!

Dr. Cornelie Becker-Lamers, Weimar