Hans Peter Marschewski
Themenvielfalt und künstlerischer Ausdruck
Mit diesem Band zu Malerei und Materialcollagen legt Hans Peter Marschewski endlich seinen ersten Katalog vor. Die Publikation ist überfällig, denn seit über 30 Jahren ist Hans Peter Marschewski nunmehr künstlerisch tätig und etliches, was die folgenden Abbildungen zeigen, befindet sich längst in Privatbesitz.
Was zeichnet die Malerei von Hans Peter Marschewski aus? - Vielleicht ist es die absolute Ehrlichkeit des schöpferischen Impulses, die man in jedem seiner figürlichen wie seiner abstrakten Werke spürt. Da steckt niemals Kalkül dahinter oder das Schielen auf eine wie auch immer geartete Positionierung auf dem Kunstmarkt. Der künstlerische Schaffenstrieb, der Marschewski beim Arbeiten mit seiner Leinwand verschmelzen läßt, kommt immer aus einer inneren Regung, die ihn mit unbedingter Macht zur Staffelei zieht: Sei es der Drang, in expressiven Malereien die Schönheit der Natur zu preisen - dann entstehen die farbstrotzenden pastösen Blumenstilleben, die Mohnwiesen und die Bilder der vom Menschen überformten Küstenstreifen, in denen ein auflandiger Wind die Baumkronen zaust. Oder sei es, daß alarmierende Nachrichten über den Raubbau des Menschen an ebendieser wunderbaren Natur ihn zur verzweifelten Mahnung treibt, doch bloß Vernunft anzunehmen und unsere Erde für uns und unsere Kinder zu erhalten - dann entstehen die kargen, in Schwarz und Braun, in mattem Taubenblau und fahlem Weiß gehaltenen Mischtechniken kahler Bäume und verkrüppelter, haarloser Menschen, in deren mit Händen zu greifendem Unglück wir der drohenden Zukunft unseres Planeten und seiner Populationen ins Auge sehen, wenn wir nicht schleunigst unser Verhalten ändern. Während die affirmativen Naturdarstellungen adressatenfrei sind, ist jedes dieser Bilder ein Appell. Hier sucht Hans Peter Marschewski den Dialog mit dem Betrachter.
Die Vielfalt seiner Interessen für die Welt und die Menschen, der Facettenreichtum seines Blicks auf die Gewalt der Natur und die sozialen Mißstände in der Gesellschaft lassen ein künstlerisches Œuvre entstehen, dessen Themenbreite diese Vielfalt widerspiegelt. Es ist unmöglich, die Kunst Hans Peter Marschewskis auf einen kurzen Nenner zu bringen. Und wie die Katalogabbildungen zeigen, bearbeitet der Künstler seine Themen meist in zweifacher Weise: Ob es die Blumen sind oder das Gebirge, die Meereslandschaften, die Portraits oder die Stadtansichten - zu jedem Thema finden wir im Werk Hans Peter Marschewskis sowohl die affirmative figürliche Darstellung wie die völlige Abstraktion vom Bildgegenstand. Immer tritt der mimetischen Position in dem einen Werk die völlige Verfremdung der Darstellung in einer nächsten Arbeit zur Seite. Mischtechniken mit Sand oder Marmormehl und aufwendige Materialcollagen können in den letzten Jahren auch die außergewöhnliche Haptik und Ausgestaltung eines Bildes gegenüber seinem inhaltlichen Aspekt in den Vordergrund rücken. Rein formale Experimente in Epoxidharz kommen in der derzeit jüngsten Schaffensperiode noch hinzu.
Reiches Leben - reiche Kunst
Bei künstlerischen Autodidakten - und das ist Hans Peter Marschewski fast vollständig - ist man immer versucht, zunächst nach dem Menschen hinter der Kunst zu fragen. Wir haben dies bisher nicht getan, aber einige Hinweise zur Biographie des Ende 1948 nahe Schwerin Geborenen kann helfen, wiederkehrende Thematik mit ihrer Verankerung im eigenen Erleben des Künstlers zu erkennen, zu bewerten und zu gewichten. Zwischen seinem 17. und seinem 23. Lebensjahr befuhr Hans Peter Marschewski als Hochseefischer die Weltmeere. Die Situationen von Lebensgefahr in herbstlichen Nordatlantikstürmen blieben da als Erfahrung ebensowenig aus wie der magische Zauber, der die ganze Mannschaft an Deck lockte, wenn im Februar die ersten Strahlen einer wieder aufgehenden Sonne das Meer rot färbten und das Ende der Polarnacht am Horizont erschien.
Die Liebe zur Malerei aber ist in Hans Peter Marschewski noch älter als die zum Seesport, den er als Teenager auf den Stauseen und der Saalekaskade betrieb. Seit seiner Schulzeit, die er im thüringischen Saalfeld verbrachte, gehörte er Zeichenzirkeln an und genoß eine Förderung, die ihn 1969 spontan eine ungeplante Aufnahmeprüfung an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee bestehen ließ: Das Handwerkszeug wie Kohle- und Kreidezeichnung hatte er zuhause bei Herbert Strecha gelernt. Aus persönlichen Gründen schlug Marschewski den Studienplatz für Malerei und Graphik dennoch aus und ging zur Polizei, für die er bis zu seiner Berentung im Jahr 2008 in leitender Funktion tätig war.
Seit 1985 zog es ihn an die Staffelei zurück und die völlig neuen Möglichkeiten der Materialbeschaffung an Farben und Leinwänden nach der Wende brachten neue Perspektiven für die künstlerische Arbeit mit sich. Seither hat Hans Peter Marschewski sich in fortlaufender selbständiger Weiterbildung und im steten Tun und Übermalen mehr und mehr in den Stand gesetzt, all seine Liebe und Begeisterung, aber auch seine Sorgen und die daraus resultierenden Ermahnungen in Bildende Kunst umzusetzen und für uns direkt auf der Leinwand festzuhalten. Der von ihm so gepflegte sprachliche Dialog über die Welt und über das, was andere Gott nennen, hat eine neue Dimension bekommen. Die Werke sprechen jetzt zu uns - über Entfernungen und Zeiträume hinweg.
Was mit naiver Malerei, mit naturalistischen Blumen- und Landschaftsbildern, mit auf die Leinwand gebannten Erinnerungen an fremde Städte und mit eindrucksvollen Darstellungen der stürmischen See begann, entwickelte sich in den vergangenen 25 Jahren zu dem schon skizzierten Œuvre von bemerkenswerter künstlerischer Eigenständigkeit. Auch wo die Motive konstant bleiben, entwickeln sich Technik und ein immer selbstbewußter werdende Zugriff des Künstlers auf die darstellerischen Mittel und Formen weiter. Der freiere Umgang mit Pinsel und Spachtel verleiht den Gemälden Hans Peter Marschewskis mittlerweile mehr und mehr Tiefe, Lebendigkeit und eine Eigenständigkeit im künstlerischen Ausdruck, die seinen Werken eine spezifische Handschrift zu verleihen beginnt. Mehr und mehr lösen sich die wahrgenommenen Formen auf dem Weg ins Bild auf. Waldwege können so zur Illusion aus Farbe und Licht werden, der weite Meereshorizont zur völlig abstrahierten, auch farblich verfremdeten Fläche, die ohne jeden Rest von motivischer Bindung den Bildraum ausschreitet.
Abstraktion der Darstellung und reine Farbe
"Nach dem Regen" löst, noch ganz im Figürlichen, die Formen in Farben auf: Menschen flanieren einen Parkweg entlang. Das eigentliche Bildsujet aber ist die Klarheit der Luft nach einem Regenguß. Es geht hier um nichts Geringeres als die Darstellung des Abwesenden. Der Maler muß zeigen, was gerade nicht da ist: Kein Dunst, kein Regen, kein Rauch - die Klarheit der Luft. Und was nicht mehr ist, aber bis gerade stattgefunden hat: Regen. Der Künstler zählt hier auf Alltagserfahrungen und Wahrnehmungsmuster beim Betrachter. Da Parkwege nicht bunt sind, spiegelt sich hier offenbar etwas in Pfützen. Helle Farben bedeuten dabei einen klaren Himmel. Nur bei klarer Luft kann man weit sehen und Farben behalten in der Ferne ihre Kraft. So verweisen scharfe Konturen auf den abgezogenen Regen. All dies wird vom Künstler intuitiv erfaßt. In der bildnerischen Umsetzung hat Hans Peter Marschewski vor allem ungemischtes, fast grelles Weiß aufgebracht: Die Blätter in den Bäumen reflektieren, noch regennaß, das Sonnenlicht. Auf dem Parkweg scheinen Pfützen reines Licht widerzuspiegeln - und die Alleebäume. Die Figuren im Hintergrund aber warten entspannt aufeinander und flanieren ohne Schirm durch die Parkallee: Der Regen muß vorüber sein. Die Schärfe der äußeren Konturen und die Klarfarbigkeit der Figuren trotz ihrer Entfernung im Bildmittelgrund zeigt uns, zu welcher Klarheit der Regen die Luft gereinigt hat.
Vom Weg des Bildmotivs in die bewegte Fläche geben Werke wie der "Tanz der Schmetterlinge" und der "Flug der Möwen" Zeugnis. Die gedachten Motive werden in den Werktiteln benannt. Beide beschreiben Tiere in Bewegung. Doch vom Sujet bleibt kein Rest von Gestalt mehr übrig. Künstlerische Umsetzung erfährt allein die Bewegung der Vögel und bildschönen Insekten. Der Flug der Tiere leitet den Pinsel, der gedachte Schwung ihrer Flügel zieht die sie umgebende Luft, zieht Himmel und Meer, Gischt und Wolken ganz offensichtlich in ihren Bann. Nichts bleibt ruhig, wenn ein Schwarm kreischender Möwen vorüberfliegt. Und die Blüten des Sommerflieders zittern mit im Tanz der Schmetterlinge. Alles hängt mit allem zusammen. Die Welt ist ein Kontinuum, in der nichts belanglos ist. Entsprechend prägt die Architektur in den "Stadtansichten" allem ihren kantigen Stempel auf. Der Blick empor in der Häuserreihe zeigt den Himmel als Rechteck. Der Pinsel durfte sich hier nur parallel zu den Achsen eines Koordinatensystems bewegen: Horizontal und vertikal.
Auch in "Meer 2 blau" und "Meer 1 rot" wird der Meereshorizont so verfremdet, daß das ursprüngliche Motiv ganz in den Hintergrund tritt, unkenntlich wird und sich verwandelt. Im einen Fall löst es sich in ein Fest der Farben auf, und nur der Titel "Meer 2 blau" gibt dem Betrachter Anlaß, eine sich spiegelnde Sonne, Wolkenfetzen, Gischt, blauen Himmel und damit auch blaues Meer beim Anblick zu assoziieren. Im anderen Fall wird - aber wiederum nur aufgrund des Hinweises im Bildtitel - das Meer zum Blutbad, zum in Blut verwandeltes Wasser, zur ersten der zehn ägyptischen Plagen, wie sie vielfach in der Bildenden Kunst thematisiert wurde. Die Bildpaare "Ufer I" - "Ufer II" und "Warm" - "Kalt" schreiten diesen Weg noch weiter aus. Die Motive füllen einen Bildraum, in dem die Farben keine Formen mehr hervorbringen, sondern vielmehr mit der Illusion räumlicher Tiefe die Fläche lebendig machen.
Darstellung der Abstraktion und gesellschaftliche Einmischung
Mehr und mehr abstrahiert Hans Peter Marschewski in den letzten Jahren nun nicht mehr nur die Darstellung, sondern das Bildsujet selber. Und es ist gerade dieses Spektrum der ungegenständlichen Arbeiten, in welchem sich Hans Peter Marschewski gesellschaftspolitisch äußert. Das Werk "Suche nach dem Licht" ist eines dieser Bilder mit 'doppeltem Boden'. Da ist nämlich nicht ein Licht im Dunkel, sondern zwei. An verschiedenen Stellen im Bild leuchtet es zudem ein wenig vor sich hin. Welches Licht ist das richtige? Welchem soll ich folgen, und welches ist womöglich wie das Licht des Tiefseefisches, das mich als die Beute direkt in sein geöffnetes Maul lockt? Assoziierbar hier die Scharen falscher Propheten mit ihren Lösungsansätzen, die jedes Problem und jede soziale Schieflage sofort auf den Plan ruft. Einer drängenden sozialen Schieflage widmet sich das Werkquartett "Gruppe I-IV - soziale Spannungen" in Acryl. Die Figuren haben keine Gesichter, obwohl wir ihnen als Betrachter eigentlich ausreichend nahe kommen. Aber wir erkennen nur eine gesichtslose Masse, als die wir ganze Gruppen von Menschen oder sozialen Schichten in unserer Gesellschaft ausgrenzen.
Die in Mischtechnik aufgebauten Bilder "Suche nach dem Dialog" und "Zerbrechen der Mona Lisa" gehören, auf den ersten Blick nicht entschlüsselbar, ebenfalls zu den Arbeiten Hans Peter Marschewskis, die sich gesellschaftspolitisch einmischen. Die "Suche nach dem Dialog" zeigt uns Diskutanten, die sich um eine thematische Leerstelle scharen und einander als körperlose, gespenstische Schemen unkenntlich, nicht greifbar und unverständlich bleiben müssen. Es ist klar: Diese Suche nach dem Dialog wird immer eine Suche bleiben. Das "Zerbrechen der Mona Lisa" entstand im Entsetzen über die mutwilligen Zerstörung von Palmyra durch Terroristen im Jahr 2015. Der Künstler zeigt uns hier, wie fragil und unbedingt schützenswert nicht nur Natur und Tiere, sondern auch Erinnerung und die materiellen Zeugnisse der Kultur- und Menschheitsgeschichte sind.
Im Werk "Anthropozän" verbindet Hans Peter Marschewski erstmals das in seinem Werk neue Material Epoxidharz mit dem Aufbau einer Figur aus Marmormehl. Eine menschliche Gestalt umfaßt hier den Globus, wie er sich uns in den Satellitenaufnahmen vom Weltraum aus darstellt. Implizieren solche Aufnahmen immer den Herrschaftsgestus des als unabhängig von der Welt gedachten Menschen, wird die Welt in ihrer (für uns eigentlich nicht gegebenen) Gesamtansicht zum scheinbar für den Menschen handhabbaren Objekt. Die Rede von "unserem" Planeten formuliert dann weniger Zugehörigkeit als Inbesitznahme und technokratische Omnipotenzphantasien. "Anthropozän" entlarvt dieses Phänomen, indem es einen Menschen wie eine Krake den Globus umkrallen läßt. Die Schultern der Figur glühen - ein Symbol für Erderwärmung und Klimawandel. Der Mensch, fixiert auf sein Objekt, kehrt uns den Hinterkopf zu. Er bleibt für uns gesichtslos. Es könnte jeder von uns sein. In ihrer Konzentration auf die Herrschaft über die Erde schaut die Figur nicht rechts und nicht links. In frappierender Ähnlichkeit vermittelt das zerlaufende Epoxidharz den Eindruck der bekannten Satellitenfotografien. Das Werk ist plakativ. Doch gerade in seiner Plakativität rüttelt es auf und hat schon etliche Diskussionen unter Betrachtern entfacht.
Dr. Cornelie Becker-Lamers
Der Text erschien zuerst in Hans Peter Marschewski. Malerei und Collagen, Saalfeld 2020, S. 13; 17; 57; 66.