Doris Erbacher – Renate Herter – Anna Werkmeister
Rede zur Ausstellungseröffnung
„Das Konkrete ist nicht das Konkrete, ist das Konkrete“
Kunsthaus Erfurt, 11. September 1998
Meine sehr veehrten Damen und Herren,
”Licht Farb Schatten Räume" lautete der Arbeitstitel der Ausstellung, die wir heute gemeinsam eröffnen. Die in Berlin lebenden Künstlerinnen Doris Erbacher, Renate Herter und Anna Werkmeister haben sich hier erstmals zu einem gemeinsamen Ausstellungskonzept zusammengefunden.
”Licht Farb Schatten Räume" – im Prozeß der Konzeptionierung und der Vorbereitungen zur Ausstellung zeigte sich, daß die Themenstellung sich modifizieren mußte, wenn auch die Thematik des Widerspiels von Licht und Schatten weiterhin sichtbar bleibt: „Das Konkrete ist nicht das Konkrete, ist das Konkrete", ist das Konzept der Ausstellung nun benannt und scheint zunächst die Paradoxie der Bildenden Kunst erneut formulieren zu wollen: die Paradoxie nämlich, daß die detaillierteste ikonische Abbildung ihren Gegenstand abstrahieren muß – „Ceci n’est pas une pipe“ –,die scheinbar abstrakteste, auf Geometrien reduzierte Kunst hingegen ihren Gegenstand jeweils genau faßt. Denn in der Konkreten Kunst sind die Mittel der Darstellung selber Gegenstand und Inhalt des Werkes: Das Konkrete ist nicht das Konkrete, ist das Konkrete.
So lädt das Kunsthaus heute ein zu einer weiteren Ausstellung über Konkrete Kunst. – Oder? Mir scheint, die kunstwissenschaftlich-experimentellen Fragestellung, die das Motto ahnen lässt – Konkrete Kunst hat immer viel mit Experiment zu tun – wurde philosophischer, und sie wurde dadurch zugleich sehr viel lebensnaher. Sie erinnern sich an das tastende programmatische Statement der Künstlerinnen, das auf den Einladungskarten abgedruckt war. „Wahrscheinlich spielt sich das Konkrete ab zwischen der Fiktion, eine universelle Sprache zu finden, und der Wirklichkeit, der Gegenwart, in die wir unsere Kunst einbinden, unsere Objekte. Räumlich. Zeitlich. Historisch. – Vielleicht spielt sich das Konkrete ab zwischen dem alles umfassenden Anspruch und dem, was nur da ist. Materiell. De facto.“
Die Fragestellung der Konkreten Kunst nach Linie, Fläche, Farbe und Raum wird hier m.E. erweitert. Gingen Bauhäusler wie Moholy-Nagy oder Josef Albers oder die nächste Generation um Max Bill und Richard Paul Lohse immerhin von Linie, Fläche, Farbe und Raum aus und versuchten Kunstwerk um Kunstwerk – auch in kinetischen Objekten, die die Zeit ins Spiel bringen –, die Wirkungen und Möglichkeiten dieser Grundelemente und ihrer Interferenzen auszuschreiten, so scheint in den Äußerungen von Doris Erbacher, Renate Herter und Anna Werkmeister eine Art Universalienstreit durch (gewissermaßen die Frage: „Gibt es den Raum überhaupt?“): Thematisiert werden Raum, Zeit und deren gemeinsamer Nenner, die Geschichte, die Raum in Zeit, das „Hier“ in ein „Damals“ verwandelt. Die Frage nach den Möglichkeiten flächiger oder räumlicher Figuren und kinetischer Objekte wird aufgehoben in der viel grundsätzlicheren Frage nach dem Prozeß des Wirklichwerdens des Möglichen, nach der Utopie (griechisch eigentlich: Nicht-Ort: u-topos) und ihrer Realisierung.
Um endlich zu den Kunstwerken zu kommen, beginne ich mit Renate Herters Arbeit vom „weißen Haus“: „casa blanca - tapy tuvy - casa branca“ heißt jeweils das gleiche. Die Immaterialität, die in der Gestaltung mitschwingt, ist bereits in den weiß auf weiß aufgebrachten Buchstaben angedeutet, die den materiellen Kern des Kunstwerks bilden. Angesichts der ästhetisch neutralen, lapidaren und tautologischen Aussage, die man auf den hier aufgestellten Stühlen auf sich wirken lassen soll, treten die individuellen Assoziationen jedes einzelnen Betrachters um so deutlicher in den Vordergrund. Sie sind Teil der Installation. Die Wirkmächtigkeit der Gedanken – des schlechthin Immateriellen – ist somit vielleicht der eigentliche Kern des Kunstwerks.
Der nebenstehend ausgestellte Text gibt erläuternde Hinweise und erste Denkanstöße zu dieser Arbeit: „Tapy Tuvy“ ist ein Wort aus der Sprache der Aché, einem Indiovolk aus dem Grenzgebiet zwischen Paraguay und Brasilien. Es bedeutet übersetzt „weißes Haus“ und steht für die Bauten der herrschenden Einwanderer, die nach und nach die Indiovölker zur Seßhaftigkeit und zur Übernahme der europäischen Lebensweise zwingen. Beschert uns die Vorstellung vom weißen Haus im fernen Süden verschwommene Assoziationen von Sonne und Freizeit, Freiheit und irgendwie ursprünglicherer Lebensweise, so konnotiert es im Gegensatz dazu für die einheimischen Völker dort den Verlust von Bewegungsfreiheit, den Verzicht auf Angestammtes, Disziplinierung, die Arbeit der Seßhaften und den Zwang zur Ruhe.
Gegenüber dem diffusen Licht der weißen Wand von Renate Herter sehen wir den vierteiligen Zyklus „Wäre die Welt all mîn“ – „Wäre die ganze Welt mein“ - von Doris Erbacher. Die neutrale Form des Kubus ist hier Ausgangspunkt für einen Werkzyklus, der zum einen mit der Konstruktion von Räumlichkeit und Perspektive spielt: Sie sehen, daß die gewohnten Verjüngungen der perspektivischen Darstellung eines Kubus in jeder Figur auftauchen, daß aber niemals wirklich ein Kubus dargestellt ist. Es sind schwarze und graue Farbflächen, die wir sehen. Unsere Wahrnehmungsgewohnheiten sind jedoch so eingeübt, daß wahrscheinlich jeder zunächst von einem „falschen Kubus“ oder einer verzerrt dargestellten räumlichen Figur sprechen wird. Durch das Abrufen der Vorstellung von Perspektive, aber der „falschen“ Anordnung der sich verjüngenden Flächen, wird die Wahrnehmung verunsichert und wir fragen uns, ob hier Flächen hervortreten sollen oder nach hinten in die Wand verschwinden. Hinzu kommt die Arbeit mit der Farbe, das Spiel mit Positiv- und Negativ-Form. Tritt das Schwarz zurück, wie wir es gewohnt sind zu sehen, blicken wir hier in ein alles verschlingendes und alles in pure Energie auflösendes „schwarzes Loch“, stehen wir vor einer Darstellung des Immateriellen - oder spielt sich das Schwarz nicht doch in den Vordergrund und tritt als eigenständige Farbfläche in Erscheinung?
Wir werden diesem Spiel, diesem „trompe-l’oeuil“ von Positiv- und Negativform in der unteren Etage wiederbegegnen. In den Installationen der unteren Etage ist die Thematik von Licht und Schatten ebenfalls präsent, tritt aber ein wenig zurück hinter die Thematisierung des Seriellen und der endlosen Fortführbarkeit vorgegebener variabler Muster.
Die Brücke zwischen beiden Räumen bilden diese auratischen Lichtkästen mit dem profanen Namen „Autowaschbürste I und Autowaschbürste II“ von Anna Werkmeister. Es sind Photographien, die aus dem Auto heraus eine Waschanlagen bei ihrer Arbeit festhalten. Hier wird zum ästhetischen Phänomen, was wir für gewöhnlich ausschließlich unter Funktionalen, eventuell auch unter Umweltschutz- Aspekten betrachten.
Interessant im Kontext der Ausstellung ist aber vor allem einerseits, daß hier ein lebendiger, sonnig strahlender Lichtpunkt gegen den Zyklus der schwarzen, verschobenen Flächen gesetzt wird - hier haben wir doch noch einmal die „Licht-Farb-Schatten-Räume“ –, und daß hier eine theoretisch endlos fortführbare Bewegung, das förmlich spürbare nasse Klatschen der Waschborsten gegen die Windschutzscheibe eingefroren und inmitten der Aktion festgehalten ist. Ein Moment begegnet uns, in dem die Zeit stillsteht, und es ist uns unbehaglich, wenn wir spüren, daß diese Bewegung niemals stillstehen kann, daß es irgendwann explodieren und mit sturmflutartiger Gewalt erneut losbrechen muß.
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Die „Folien 1-4“ von Anna Werkmeister sind aus skulpturellen Arbeiten wie „M 10“ gewonnen („M 10“ war im Obergeschoß zu sehen). Hier unten steht wie erwähnt das Element des Kombinatorischen und Seriellen der Konkreten Kunst im Vordergrund. Die Folien spielen mit der Anordnung von Innenraum und Rahmen der Skulpturen hier in der zweidimensionalen Fläche. In der Fläche ist es dann auch plötzlich kein bestimmbarer Innenraum und Rahmen mehr, beides wird zu gleichberechtigten geometrischen Formen. Das Prinzip der Kombinatorik gibt hier verschiedene Möglichkeiten des Versetzens der ausgefüllten oder transparenten Form vor, schöpft diese Möglichkeiten aber nicht aus, so daß sich die Arbeit im Geiste fortsetzt. Das Springen von Positiv- zu Negativform ist in dieser Arbeit sehr ausgeprägt: Unsere Sehgewohnheit gibt uns vor, daß die schwarze Fläche das Loch darstellen sollte, durch das man hindurchsieht. Hier ist aber gerade das Nicht-Schwarze transparent, die schwarzen Rechtecke erscheinen als aufgesetzte Figuren im Vordergrund. Thematisch rückt dieser Zug die „Folien 1-4“ in die Nähe des vierteiligen Zyklus „Wäre die Welt all mîn“ im oberen Stockwerk.
”5 rote Körper" von Doris Erbacher sind im Raum angeordnet, experimentieren mit dem Schatten, den sie selber in sich oder um sich herum werfen. Die Anordnung in Zweiergruppen oder allein deutet die Vielzahl der weiteren Möglichkeiten an, die in der Grundidee der Arbeit angelegt sind: Anordnungen in Reihen, in dichten Gruppen von mehreren Körpern, Potenzierung der Anzahl der Körper im Raum.
Ich möchte hier die kleine Einführung abschließen. Die Künstlerinnen sind anwesend und stehen sicherlich zu klärenden Fragen weiterhin zur Verfügung. Mir bleibt nur noch, für Ihre Aufmerksamkeit zu danken und Ihnen einen schönen Abend zu wünschen.
Cornelie Becker-Lamers