Beate Debus. Skulptur - Relief - Zeichnung
Rede zur Ausstellungseröffnung
Galerie Profil Weimar, 23. August 2014
Sehr geehrte Damen und Herren,
die heutige Ausstellung gibt einen breiten Überblick über die verschiedenen Schwerpunktsetzungen in Beate Debus' Schaffen - Schwerpunktsetzungen im Rahmen ihres gleichbleibenden künstlerischen Interesses am Menschen und der Darstellbarkeit menschlicher Bewegung in all ihren Ausprägungen: äußerer Bewegung, innerer Bewegung, spielerischer Bewegung, ernsthaftem Aufbegehren, Bewegung innerhalb eines Leibes oder aber aufeinander bezogener Bewegung zweier Körper, die zueinander hin oder voneinander fort streben, Balanceakte zwischen Schutz und Bewegungsfreiheit, Standhaftigkeit und Schwäche, zwischen Kleinmut und Übermut, Beharrlichkeit und Aufbruch, Gleichmut und Exaltiertheit.
Die beiden Bronzearbeiten, die im Rahmen der "Neuen Skulptur Weimar" ums Wittumspalais herum in der Stadt aufgebaut sind, gehören auch zu unserer jetzigen Ausstellung dazu, und so sehen wir neben dem "Gegenläufigen Tanz" und dem "Exzentrischen Tanz" im Außenraum hier mit "Kleiner Schattentanz" ein weiteres Werk aus dieser Arbeitsphase, dann aber auch einige "Köpfe" - als Relief oder Bronzeguß sowie die "Marionetten" mit entsprechenden Zeichnungen aus der jüngsten Arbeitsphase, die sich mit der Bewegung innerhalb eines Körpers auseinandersetzt. Ich werde versuchen, das verbindende künstlerische Interesse all dieser Arbeiten deutlich zu machen und zugleich zu zeigen, welche besondere Ausprägung es je nach Werkphase erfährt.
Beate Debus ist seit 1980 als Holzbildhauerin selbständig und hat ihr Schaffen schon immer in den Dienst der Darstellung der menschlichen Figur gestellt: zunächst in figürlichen Skulpturen vor allem des weiblichen Körpers oder mimisch ausdrucksstarker Büsten. Zu Beginn der 90er Jahre wandte sie sich von der figürlichen Darstellung ab und abstrahierte die dann lange Jahre vorherrschenden Paardarstellungen zu den "Tanz"figuren, die völlig entindividualisiert erscheinen: Der Kopf fehlt, es bleibt nur ein Treffpunkt aufstrebender Linien, ein Scheitelpunkt, an dem die Gliedmaßen der Figuren zusammenlaufen. Ganz zentral und "typisch Debus" wird in dieser Schaffensphase die Zweifarbigkeit der Skulpturen. Die Gestalten werden mittels Flämmen des Holzes zunächst geschwärzt und hernach die hellen Teile wieder abgeschliffen und mit Schlämmkreide geweißt. Warum ist das so zentral? Nun, es geht eben nicht mehr - wie in der älteren figürlichen Darstellung - um die Abbildung eines individuellen Charakters, sondern um die Darstellbarkeit von Bewegung, von der räumlichen Interaktion zweier Körper. Ja, mehr noch: Es geht um die Darstellbarkeit von handlungsmotivierenden Gegensatzpaaren in einer einzigen Skulptur, also um die erwähnten, sich immer gegenseitig bedingenden Dichotomien von Beharren und Aufbruch, Festhalten und Bewegungsfreiheit, Überschwang und Balance. Nur die kontrastreiche Farbgebung ermöglicht es den Betrachtenden, die Arbeiten optisch zu gliedern, die Zweiteilung zu erkennen und die ineinander verschlungenen Figurenteile richtig zuzuordnen. "Kleiner Schattentanz" hier in der Ausstellung ist eine sehr "brave" Skulptur, es gibt da weitaus raumgreifendere Arbeiten. Sie ist aber jedenfalls aus dieser künstlerischen Intention heraus zu verstehen. Die abstrakten Paardarstellungen, die jahrelang die Kunst von Beate Debus bestimmten, haben wie gesagt keinen Kopf. Sie thematisieren die äußere Bewegung als spielerischen Tanz oder kraftvollen Aufbruch, die Bewegung jedenfalls als Interaktion zweier Körper. Im Vordergrund des künstlerischen Erkenntnisinteresses steht die Frage nach dem Raum zwischen den Körpern, dem Raum, der die Voraussetzung ist für das sich Trennen wie für das aufeinander zu Gehen. Diese Paardarstellungen sind Bewegungsmodelle, enggeführt auf das Wesentliche der sich bewegenden Körper, Bewegungsmodelle ohne Kopf.
Der Kopf verlangte im Laufe des Schaffensprozesses aber doch sein Recht und zwar im Zusammenhang mit der Frage, woher die äußere Bewegung denn überhaupt komme? Außer im Fall der Marionette kommt die äußerlich sichtbare Bewegung ihrerseits ja nicht von außen, sondern ist Ausdruck einer inneren Bewegung eines Körpers. Die neue künstlerische Aufgabe für Beate Debus war geboren und lautete: Wie kann innere Bewegung dargestellt werden, wie kann die Bewegung der Gedanken und das seelische Movens äußerer Aktivität in einer Skulptur verdeutlicht werden? So entstand in den letzten vier-fünf Jahren eine Fülle gesonderter Kopfdarstellungen, von denen wir hier zwei Holzreliefs "Kopf" und einen bronzenen "Schlaf" sehen können. In den Reliefs sehen Sie sofort, daß die Zweifarbigkeit der "Tanz"-Paare in die Köpfe übernommen worden ist. Wo das Schwarz-Weiß in den Paardarstellungen die Differenz von "Standbein" und "Spielbein" markiert, so trennt die Farbigkeit in den Köpfen die Bereiche, in denen Bewegung entsteht von denen, durch die die Bewegung zum Ausdruck kommt. Die Stirnen, farbig heller, häufig geweißt, sind hochgewölbt und ellipsoid, als würde eine innere Regung nach außen drängen. Farblich dunkel markiert sind die Schnittstellen von objektivierbarer Realität und subjektiver Realität: Als Balken, Kreuz oder T-Form die Linien der Öffnungen des Kopfes: die Linien Auge-Ohr und die Linie Mund-Nase, manchmal bis zum Dritten Auge auf der Stirn verlängert. Augen, Ohren, Nase, Mund und unser "Sechster Sinn" sind es, durch die wir die Realität aufnehmen können, hinter der Stirn entscheidet sich dann, was wir aus unseren Erfahrungen machen und welche Handlungsmotivation wir daraus ableiten. Durch die Augenpartie teilt sich die innere Bewegung häufig unmittelbar und unverstellt nach außen mit.
Doch nicht jede innere Bewegung findet ihren Ausdruck in einer äußeren Handlung. Vieles müssen wir in uns verbergen. Es entsteht eine mehr oder weniger heftige innere Bewegung. Hier setzt die "Corpus"-Serie von Beate Debus an. Bewegung wird hier nicht mehr als Interaktion zweier Figuren aufgefaßt, sondern in den einzelnen Körper hineinverlegt. Die farbliche Kontrastierung innerhalb des Werkes ist geblieben, doch ist dem Weiß das Rot zur Seite getreten, das immer auch auf Blut, also auf das Leben wie auf die Verletzlichkeit der Körper verweist. Wir sehen aufbrechende oder aufgebrochene Körper, deren Rippen den Brustkorb wie die Finger einer Hand zusammenhalten zu wollen scheinen. Aus den Kopfskulpturen ist das schwarze Kreuz oder T in die Corpus-Darstellungen übernommen worden. In den Köpfen hatte es die Augen-Ohr und die Nase-Mund-Linie markiert. Nun kennzeichnet es Rückgrat und Schultern. Betrachten Sie die beiden Wandreliefs, "Corpus" und "Bergen", so sehen Sie, daß anstelle von Wirbelsäule und Schultern auch ein schwarzer Winkel auftauchen kann, der wie ein Richtscheit zwischen die Rippen geschoben ist. Die Darstellung ist so abstrahiert, daß die Rippen in der Tat sogar als Finger, der Brustkorb als zwei Hände lesbar werden können, die nach einem Werkzeug greifen. Doch das ist nicht gemeint. Dargestellt ist wieder und wieder der menschliche Körper, nunmehr vereinzelt, der vor innerer Bewegung förmlich auseinandergerissen zu werden droht. Die Werke zeigen: Auch innere Bewegung braucht Raum, und wie in Debus' Kopfskulpturen die auffallende Wölbung einer Stirn auf die nach außen drängenden Gedanken verweist, so zeigen die Torsi eine innere Bewegung, die die Grenzen des Körpers sprengt - ihn sprichwörtlich "zerreißt". Nicht immer sind Rückgrat und Schultern Halt und Stütze: Die ambivalente Bedeutung des Kreuzes - im Sinne von "Kreuz und Leid" - schwingt im Werk von Beate Debus durchaus mit. Der Schulterbogen kann zum Joch werden, das dem Körper wie eine fremde Last aufruht. Das Transparentwerden des Körpers auf das Kreuz, also im übertragenen Sinne auf das Leiden und die Verletzlichkeit des Menschen hin, ist in einigen dieser Arbeiten unübersehbar.
Die Idee der Öffnung ist im Werk von Beate Debus ambivalent. Der Raum ist doppeldeutig. In Gesprächen betont Beate Debus immer wieder, daß das Wesentliche an ihren Skulpturen der freie Raum ist. Die Öffnung dieses Raumes aber wird von ihr schon im Schaffensprozeß als Befreiung und Verletzung zugleich reflektiert. Wenn Beate Debus mit Kettensäge, Hammer und Meißel aus dem intakten Baumstamm eine neue Skulptur in einem Stück heraushaut - alle Skulpturen sind in einem Stück aus einem Baumstamm geschlagen! - spürt sie die Schmerzen des Baumes gleichsam mit und empfindet dennoch die Öffnung als Offenbarung, die Schaffung der Skulptur als Befreiung und neues Leben für den Baum. Diese Ambivalenz des Freiraumes überträgt das Werk von Beate Debus auf den menschlichen Körper, auf den zwischenmenschlichen Umgang und sogar auf gesamtgesellschaftliche Phänomene: Es gibt Auftragswerke für eine Ausstellung zum Thema "Reformation", die die Ambivalenz von Aufbruch und Zerstörung in dieser revolutionären Situation reflektieren. Die Größe der Kunst von Beate Debus zeigt sich darin, daß die Künstlerin die Phänomene, die sie verdeutlichen will, nicht nur gedanklich sauber durchdrungen hat, sondern in ihren Werken in handwerklicher Perfektion tatsächlich unmittelbar anschaulich werden läßt.
Vielen Dank!
Dr. Cornelie Becker-Lamers