„Punta secca e colori – Farbradierungen von Anne-Katrin Altwein“

Rede zur Ausstellungseröffnung

Teil der Doppelausstellung „Weimar-Trento und zurück“

Schloß Kromsdorf, 17. Mai 1997

Im Rahmen des Projekts „Brücken zueinander“ Pfingsten in Schloß Kromsdorf 1997

Julia: Bauen wir eine Brücke?
Cornelie: Bauen wir eine Brücke!
Julia: Eine Brücke zwischen den Räumen ...
Cornelie: eine Brücke zwischen den Ländern ...
Julia: eine Brücke zwischen den Sprachen ...
Cornelie: eine Brücke aus Sprache ...
Julia: eine luftige Brücke ...
Cornelie: eine Luftbrücke ...
Julia: luftig wie der Flug der Möwen ...
Cornelie: und bewegt wie das Meer.
Julia: Eine zarte Berührung wie der Flügel der Möwe auf dem Wellenkamm ...
Cornelie: und doch standfest wie die zerbrechlich nur wirkenden überlangen Beine der Figuren Anne-Katrin Altweins.
Julia: Wir bauen eine Brücke ...
Cornelie: eine Brücke zwischen den Kulturen ...
Julia: zwischen jung und alt ...
Cornelie: zwischen Mann und Frau ...
Julia: eine Brücke aus ständigem Dialog.
Cornelie: Eine deutsche Brücke?
Julia: Un ponte italiano!
Cornelie: Zwischen Anne-Katrin Altwein ...
Julia: und Guido di Fidio.

[... Rede Julia Draganovic zu Guido di Fidio]

[Julia: Sehen Sie sich doch die Vögel an]
Cornelie: Die Raben?
Julia: Die Möwen!
Cornelie: Den Pelikan!
Julia: Die Taube
Cornelie: Das Pferd
Julia: Die Ziege
Cornelie: Die Katze?
Julia: Die Katze!

Cornelie: Die Katze bringt die Herkunft der graphischen Arbeiten Anne-Katrin Altweins aus der Bildhauerei am deutlichsten zum Ausdruck. Zwar hat die Katze nicht – wie viele der übrigen Motive hier: die Raben, die Rutengänger, das Mädchen, die Zwei – eine unmittelbare Vorgängerin im skulpturalen Werk Altweins. Aber die differenzierte Farbigkeit der kolorierten Radierung mit der Katze verleiht der Darstellung eine Plastizität, die das Tier beinahe aus dem Bild springen läßt. – Wenn es denn, bei einer möglichen Bewegung, aus dem Bild springen würde, d.h. wenn es denn dem Betrachter zugewandt wäre. Das ist freilich selbst bei der Katze nicht der Fall.

Wie ihre Skulpturen scheinen die Zeichnungen und Radierungen Anne-Katrin Altweins dem Thema der Selbstgenügsamkeit gewidmet zu sein: Sämtlich sind die Figuren in sich gekehrt, mit sich selbst beschäftigt, abgewandt vom Betrachter oder mit vor Stolz so hoch erhobenem Kopfe, das dieser Kopf aus der Darstellung verschwindet.

Die Figuren strotzen vor Lebensenergie und halten doch all ihr Leben vor dem Betrachter verborgen. Die wie mit zitternder Hand geritzten, durchbrochenen Linien der überschlanken Frauensilhoutten lassen Altweins Figuren förmlich vibrieren vor Kraft, vor einer Kraft allerdings, die sie für sich behalten und jeden abweisen, der durch Berührung die Quelle dieser Kraft anzapfen könnte: Charakter haben diese Figuren. Und nicht umsonst bezeichnet das Wort Charakter (aus dem griechischen) ursprünglich die Prägung einer Münze: Zum Selbstschutz wird in den Altweinschen Darstellungen die eigene Zerbrechlichkeit in Unnahbarkeit umgemünzt. Nicht um heimzuzahlen, sondern um sich das Recht zu nehmen, das einst Königen vorbehalten war und das nur mit Gold aufzuwiegen ist.

Doch es wäre verfehlt, bei so inhaltsschweren Betrachtungen stehenzubleiben, wenn es um das Werk Anne-Katrin Altweins geht: Viel zu gelassen strahlen die Arbeiten eine heitere, tief gründende Reflexivität aus, die in der Kunst, durch das Be-greifen in der haptischen künstlerischen Arbeit aufgehoben ist, und aufgehoben im doppelten Sinne des Wortes: Aufbewahrt und erhöht.

Es ist eine eigenartige Künstlerin, die dieses Werk schafft. Eine Künstlerin, die einerseits die nur Kennern der keltischen und germanischen Mythologie vertrauten Raben Odins – Hugin und Munin, sie symbolisieren Gedächtnis und Erinnerung – vor dem Schloß in Weimar aufstellt, und die das tut, als man aus Siedlungsfunden den letzten Thüringischen Königshof aus dem 6. Jahrhundert an eben dieser Stelle vermutet. Eine Künstlerin andererseits, bei der man wetten möchte, daß jedes ihrer Werke nicht ihrem Kopf, sondern ausschließlich ihren Händen entspringt, daß es ausschließlich das Haptische ist, das sie interessiert, die Sinnlichkeit glattpolierter Steine, die überwältigende Präsenz von massivem Granit (Diabas ist die Art Granit, die sie verwendet, zum Beispiel für den besagten Pelikan im Nebenraum).

Wenn man Anne-Katrin Altwein nach ihren Arbeiten befragt, stellt man fest, daß die Skulpturen nicht von den Figuren sprechen, die sie verkörpern, sondern von ihrer stofflichen Beschaffenheit. Kaum ein Wort bekommt man zu hören von einer besonderen psychischen Verfaßtheit der Künstlerin in der Schaffensphase, sondern kleine geologische Vorträge über Erdbewegungen und steinalte Sedimente, über chemische Zusammensetzungen und das daraus folgende Verhalten des Materials bei seiner künstlerischen Bearbeitung.

Von Hause aus, wie man so schön sagt, ist Altwein Designerin. Im Alter von 24 Jahren schließt sie 1984 ihr Studium an der Hochschule für industrielle Formgestaltung der Burg Giebichenstein Halle mit dem Diplom ab und arbeitet bis Anfang ’89 als Graphikerin und Designerin in der Industrie. Aber als sie in die freiberufliche Bildhauerei wechselt, kehrt sich ihre Arbeitsweise diametral um: Hatte sie als Designerin je nach Themenvorgabe die geeigneten Materialien für die herzustellenden Gegenstände zu suchen und zuzurichten, beginnt sie als Bildhauerin, ihre Kunstwerke nach dem Material zu schaffen, das ihr in die Hände fällt. Steine begegnen ihr, in denen sie Figuren sieht, und zwar nicht nur durch die unbehauen charakteristische Gestalt des Steins, sondern auch durch sein Material. Das schwimmende Pferd (im Nebenraum), dem das dazuzudenkende Wasser sichtbar bis zum Halse steht, ist dann nicht nur ein Abbild höchster, erzwungener Konzentration und kreatürlicher Lebensnot. Der glänzendweiße Marmor, zum Streicheln glatt poliert, trägt in seiner sinnlichen Präsenz die Aussage des Werkes entscheidend mit. Der Kopf aus Porphyr, den Sie hier sehen, erzählt nicht die Geschichte einer Frauenfigur, sondern die Biographie der Erde.

Die Liebe zur Materialität nimmt Altwein in die graphische Arbeit mit hinüber, als sie, von Wolfgang Knappe nach einer Ausstellung hier in Schloß Kromsdorf vor zwei Jahren mit Arbeitsstipendium nach Italien geschickt, in einer Druckwerkstatt in Tassullo mit ersten Radierungen beginnt. Auch hier ist es nicht ein Inhalt, der alleine dominiert, sondern Experimentierfreude treibt die Arbeit voran. Immer wieder wird die geätzte Platte mit anderen Farbmischungen bestrichen, abgewischt, überstrichen und aufs Papier gedruckt, nochmal überdruckt, um die Farbe abzutönen, das Papier gespannt und befeuchtet, damit es sich während des Druckvorgangs nicht verzieht, wieder bedruckt und das mit bis zu vier überlagerten Farbschichten gestaltete Blatt kritisch betrachtet: Nein, es ist noch nicht gut genug, vielleicht würden andere Farben das Motiv besser zur Geltung bringen, wieder wird die Platte bestrichen, mit Wattestäbchen die Farbe in die Ritzen gewischt und von andern Stellen durch das Drehen des Wattebausches abgehoben, mit großen Bewegungen Farbe verrieben und ganz minutiös andere Flächen auf der Platte übermalt, betupft, Farben gemischt, und das Blatt am Ende womöglich doch wieder verworfen. Die Arbeiten, die Sie in den angrenzenden Räumen sehen, sind sämtlich Einzelstücke, Sonderdrucke, Probedrucke, Künstlerexemplare. Alle Arbeiten tragen vorerst ihre Arbeitstitel, sind Experimente und Angebote zu einem Dialog, in den einzusteigen wir sie einladen möchten.

Julia: Bauen wir eine Brücke?
Cornelie: Wir bauen eine Brücke!
Julia: Eine Brücke zwischen den Kulturen
Cornelie: Eine Brücke zur Kunst
Julia: Eine Brücke von Mensch zu Mensch,
Cornelie: die man betreten kann.
Julia: Die einen weiterbringt,
Cornelie: die einen voranbringt ...
Julia: oder zurück.
Cornelie: Über die man sich annähert.
Julia: Gehen wir über die Brücke?
Cornelie: Gehen wir!
Julia: Andiamo!

Cornelie Becker
dialogische Teile in Zusammenarbeit mit Dr. Julia Draganovic