Der Traum des Soldaten Martinus
Ein Martinsspiel über die Traumerscheinung des Heiligen Martin und seinen Entschluß, sich taufen zu lassen und Priester zu werden
1. Szene
[Zu Beginn kann Strophe 1-4 der "Ballade vom Leben des St. Martin" gesungen werden.]
Martinus sitzt im Kerker. Er friert. Durch ein kleines vergittertes Fensterchen spricht Constantius, ein befreundeter Soldat, mit ihm.
Constantius (flüstert ein wenig hektisch): Martinus! Ich kehre von meinem Botengang zurück und finde dich im Kerker! Was ist passiert?
Martinus (einsilbig): Drei Tage Arrest wegen mutwilliger Beschädigung von Militäreigentum.
Constantius (erschrocken, laut): Was? Du und etwas beschädigen? (sofort wieder leise und vorsichtig) Du, der du immer allen hilfst und mit allem sorgfältig bist? Das kann doch nur ein Irrtum sein!
Martinus: Nein, nein, es ist alles korrekt! Gestern bin ich mit nur einer Hälfte meines Mantels bekleidet in die Garnison zurückgekehrt.
Constantius: Dein Mantel ist zerrissen? Seid ihr von Räubern überfallen worden?
Martinus: Nein.
Costantius: Nun sag schon! Es war doch sicherlich keine Absicht!
Martinus: Doch, es war volle Absicht! Ich habe einem frierenden Bettler die andere Hälfte geschenkt.
Constantius (fassungslos): Du hast - WAS getan?
Martinus (ruhig und selbstverständlich): Ich habe mit einem halb erfrorenen Mann meinen Mantel geteilt.
Constantius (stöhnt): Das ist ja mal wieder typisch! Aber egal - sag mir, wie ich dir helfen kann! Hast du Hunger?
Martinus: Nein, ich friere. Es ist lausig kalt hier in dem feuchten Loch!
Constantius: Ich beschaff dir was!
Martinus: Du hilfst mir am meisten, wenn du auf dich selber aufpasst! Schmuggle mir hier bitte nichts hinein, es ist höllisch gefährlich! Was habe ich davon, wenn anschließend du im Kerker sitzt? Ich werd's schon überleben!
Constantius: Wie du willst! Ich geh dann mal wieder, eh jemand nach mir fragt. Ich komme so oft wie möglich nach dir gucken! Gute Nacht!
Martinus: Danke, Constantius! Gute Nacht!
Constantius schleicht sich fort. Martinus legt sich auf seiner Strohmatte zurecht und zupft und zieht so gut es geht die zu knappe Decke über sich zurecht. Nach einer Weile schläft er ein.
2. Szene
[Um die Dauer des Schlafes zu verdeutlichen, kann an dieser Stelle Strophe 5-6 der "Ballade vom Leben des St. Martin" gesungen werden.]
Im Traum erscheint Jesus dem schlafenden Martinus. Es ist an einem Heiligenschein und den Wundmalen erkennbar. Über einem schlichten weißen Gewand trägt er einen halben Militärmantel. Während Jesus nun spricht, wälzt sich Martinus wie im Traum hin und her, erwacht aber nicht. Wenn viele Kinder mitspielen möchten, kann Jesus von einer Schar Engel begleitet werden.
Jesus (sehr ruhig und ein bißchen geheimnisvoll): Martinus! Martinus! Hörst du mich? Ich war der Bettler! Ich war es, den du gekleidet hast. Denn was ihr dem geringsten meiner Brüder tut, das habt ihr mir getan!
Die Gestalt verschwindet wieder. Martinus erwacht, setzt sich auf und reibt sich die Augen.
Martinus (ruft): Hallo? Ist da jemand? (zu sich) Stockfinster hier unten in dem Loch. Aber gerade war es doch taghell... Ich könnte schwören, ich sah eine leuchtende Gestalt... (ruft wieder) Hallo? - Nichts! Sollte es möglich sein, daß Jesus zu mir gesprochen hat? Zu mir? (fällt auf die Knie und ruft) Herr! Ich habe deinen Ruf gehört. Ich will um meine Entlassung aus dem Militärdienst bitten und mich taufen lassen. Ich will fortan friedlich für meinen Glauben streiten.
3. Szene
[Während des Szenenwechsels kann Strophe 7-10 der "Ballade vom Leben des St. Martin" gesungen werden.]
Im kaiserlichen Palast zu Worms. Kaiser Julian, in dessen berittener Leibgarde Martinus dient, verteilt Geschenke an seine Soldaten. So will der Kaiser die Männer an sich binden und zu einem Kampfeinsatz gegen die Alemannen motivieren. Martinus steht in einer Reihe mit mehreren Kampfgefährten. Constantius ist auch darunter. Wenn viele Kinder mitspielen, sind es viele Soldaten, es reichen aber auch zwei bis drei. Der erste Soldat in der Reihe tritt vor den Kaiser, beugt ein Knie und senkt den Kopf. Eine Wache liest von einer Schriftrolle ab und ruft den Namen des jeweiligen Soldaten aus.
Erste Wache (liest ab und ruft aus): Maximus von Ostia.
Soldat (streckt den rechten Arm zum Gruß aus): Ave, mein Kaiser und Gott!
Julian: Maximus, mein Getreuer! Ich schenke dir Ländereien in Noricum: Äcker, Felder und Häuser in Vindobona[1] am Grenzfluß Danuvius[2]. Der Kriegsgott sei dir hilfreich in der Schlacht gegen die Alemannen! (Er überreicht ihm ein Schriftstück Der Soldat tritt zurück in die Reihe. Er strahlt.)
Erste Wache (liest ab und ruft aus): Martinus von Sabaria.
Martinus (tritt hervor, bleibt aber vor dem Kaiser stehen): Ave, mein Kaiser!
Julian (blickt ausgesprochen irritiert und zieht die Augenbrauen hoch)
Zweite Wache (tritt an Martinus heran und zischt): Beug das Knie!
Martinus (ruhig): Das Knie beuge ich nur vor dem einen Gott.
Constantius (raunt ihm zu): Mensch, Martinus, mach keinen Quatsch!
Zweite Wache (bringt Constantius durch einen Blick zum Schweigen): Dein Kaiser ist dein Gott. Beug das Knie!
Martinus (unbeirrt): Mein Kaiser! Ich danke dir für die Fürsorge, die du für deine Soldaten empfindest. Aber ich kann dein Geschenk nicht annehmen!
Julian (fährt auf und ruft aus): Du wagst es ...?
Alle Soldaten und Wachen ducken sich weg und bekommen Angst. Martinus bleibt aufrecht stehen und ist ganz ruhig.
Martinus: Mein Kaiser! Jesus Christus hat mich in seinen Dienst gerufen. Ich kann nicht mehr mit dem Schwert für dich kämpfen. Meine Waffe kann nur noch das Wort sein. Ich bitte dich, entlasse mich aus der römischen Armee.
Julian: Ha! Du Feigling! Den Glauben schiebst du vor, doch reine Feigheit lenkt deine Rede! Sei ein Mann und kämpfe wie alle! Deiner Bitte kann ich nicht stattgeben!
Martinus: Mein Kaiser! Ich bin nicht feige! Aber Christus hat uns gelehrt, ohne Schwert zu kämpfen. Ich will Frieden stiften, wie er es uns aufgetragen hat.
Julian (tritt die Stufen seines Thrones herab und steht Martinus nun Auge in Auge gegenüber): Ich glaube dir nicht! Das Heer der Alemannen steht am Rhein, und meine Leibgarde winselt wie junge Hunde. Schande über dich! Du ziehst morgen in den Kampf!
Martinus: Mein Kaiser, es sei! Aber nicht mit Schwert und Waffen gegürtet will ich gegen den Feind ziehen. Damit du siehst, daß keine Feigen und Unwürdigen in deinen Reihen dienen, will ich mich ohne Waffen und Schild, nur unter dem Zeichen des Kreuzes, dem Gegner stellen. Unter dem Kreuz werde ich unbeschadet die feindlichen Reihen passieren!
Julian (außer sich vor Wut, zu den Wachen): Führt ihn ab! Morgen soll er ohne Waffen in vorderster Front vor den Alemannen stehen wie es sein Wille ist!
Erste und zweite Wache stellen sich rechts und links neben Martinus und fassen seine Arme. Die Soldaten sehen erschrocken zu. Constantius birgt sein Gesicht in den Händen. Als die Wachen Martinus abführen wollen, kommt ein Bote hereingestürzt. Er fällt vor dem Kaiser auf die Knie.
Bote (keuchend): Ave mein Kaiser! Die Alemannen ziehen sich zurück! Sie räumen die Stellung und geben die Brückenköpfe frei! Zur Stunde müssen sie schon wieder weit im germanischen Gebiet sein! Ich habe es mit eigenen Augen gesehen!
Julian (setzt sich kerzengerade auf): Was sagst du, Bote?
Bote (blickt auf): Mein Kaiser! Wir müssen nicht aufmarschieren. Die Alemannen ziehen kampflos ab.
Es rumort in den Reihen der Soldaten und Wachen. Der Kaiser blickt fassungslos von dem Boten zu Martinus und wieder zum Boten zurück. Martinus hat die Worte des Boten ohne Regung aufgenommen und begegnet ruhig dem Blick des Kaisers.
Julian: Gott hat entschieden, Martinus von Sabaria. Ich muß deinem Gesuch stattgeben. Du bist hiermit in Ehren aus der römischen Armee entlassen. Nun aber geh mir aus den Augen! (Zu den Wachen, barsch): Man sattle ihm ein Pferd. Er soll noch heute die Stadt verlassen!
Der Kaiser zieht sich zurück. Auch die übrigen treten nachdenklich nacheinander ab. Nur Constantius bleibt stehen.
Constantius (schüttelt den Kopf): Das war ja mal wieder typisch! Aber egal - ich will doch sehen, was Martinus jetzt macht. Vielleicht kann ich ihm helfen.
4. Szene
[Während des Szenenwechsels kann Strophe 11-12 der "Ballade vom Leben des St. Martin" gesungen werden.]
Er tritt auf den Hof hinaus, wo Martinus sein gesatteltes Pferd am Zaum führt.
Martinus: Leb wohl, Constantius, treuer Freund! (Er umarmt ihn)
Constantius: Wohin gehst du?
Martinus: Ich reite nach Pictavia[3]. Ich will Bischof Hilarius bitten, mich in Theologie zu unterrichten. Ich möchte Priester werden! Leb wohl! (ruft in die Runde) Lebt alle wohl! (Er reitet davon)
Constantius: Leb wohl! (nachdenklich, ins Publikum gerichtet, als würde der Entschluß in ihm reifen, Martinus zu folgen): Pictavia... (ab)
[Abschließend kann Strophe 13-19 der "Ballade vom Leben des St. Martin" gesungen werden.]
[1] Wien
[2] Donau
[3] Poitiers
Dr. Cornelie Becker-Lamers, Weimar
Das Martinsspiel erschien zuerst in der Handreichung "Aktion Kindertreff: Sankt Martin", Heft 3 (Sept.-Nov. 2010) der Abt. Kinderseelsorge des Bistums Erfurt Text und vollständiges Notenmaterial hier. Die Uraufführung fand am 10. November 2016 in Weimar statt, vgl. hier.
Das Stück ist als Singspiel unter der Datenbankwerknummer 1178 8921 bei der GEMA angemeldet. Eine Aufführung muß daher bei der GEMA gemeldet werden. Im Rahmen eines Gottesdienstes ist sie für die Gemeinde kostenfrei aufgrund der kirchlichen GEMA-Pauschale, die auf die Komponisten umgelegt wird.