Beate Debus. Thomas Röthel - Skulptur und Grafik
Rede zur Eröffnung der Ausstellung
Galerie Profil, Weimar, 30. Juni 2018, 18.00 Uhr
Liebe Beate Debus, lieber Thomas Röthel, liebe Elke Gatz-Hengst, sehr geehrte Damen und Herren,
wieder ist es Elke Gatz-Hengst gelungen, die Skulpturenschau im Stadtraum Weimar und im Landgut Holzdorf durch eine Ausstellung kleinerer Plastiken und Papierarbeiten hier in der Galerie zu flankieren. Beate Debus ist in diesen Räumen keine Unbekannte - Thomas Röthel aber stellt in diesem Sommer erstmals in Weimar aus. Beide Bildhauer sind längst international gleichermaßen renommiert und kennen einander von Messen und Symposien wie etwa der Kunst-Triennale im schweizerischen Bad Ragaz, wo beide seit 5. Mai 2018 wieder mit ihren Werken vertreten sind.
Wenden wir uns - Ladies first - zunächst den Exponaten von Beate Debus zu. Beate Debus wurde 1957 in Eisenach geboren und zwischen 1973-1977 in Empfertshausen zur Holzbildhauerin ausgebildet. Ein Studium der Holzgestaltung bei Professor Brockhage schloß sich von 1976-1980 in Schneeberg an. Seit 1980 ist Beate Debus Mitglied im Verband Bildender Künstler und freischaffend als Bildhauerin und Grafikerin tätig.
Für den Außenraum läßt sie, der Haltbarkeit und Witterungsbeständigkeit zuliebe, seit etlichen Jahren ausgewählte Holzskulpturen auch in Bronze gießen. Wir werden einer kleinen Auswahl davon morgen im Holzdorfer Park begegnen. Denken aber tut Beate Debus von der Arbeit im Holz her. Den Schattentanz, den wir hier sehen, hat sie wie alle ihre großen Tanz-Skulpturen aus einem einzigen Baumstamm in einem Stück herausgesägt. Sie nutzt dazu die Kettensäge. Die farbliche Fassung, die Sie hier in schwarz-weiß sehen (in den Bronzegüssen ergibt sich dann eine schwarz-bronzefarbene Zweifarbigkeit) entsteht durch das Abflämmen des Holzes einerseits und durch das erneute Abschleifen und Einschlämmen mit Schlämmkreide andererseits. Die Verletzungen der Holzfasern durch den Eingriff der Künstlerin, also die Schnitte und Risse bleiben ganz bewußt dennoch sichtbar. Die Farbigkeit dient der besseren "Lesbarkeit" der Figuren. Denn so fällt sofort die Zweiteiligkeit ins Auge - also die Tatsache, daß hier offenbar zwei Figuren - oder zwei antagonistische Kräfte - miteinander interagieren.
Seit über zehn Jahren arbeitet Beate Debus an dieser Werkreihe, und sie wird nach wie vor durch neue Entwürfe erweitert. Und obwohl diese ganze Werkreihe meist das Wort "Tanz" im Titel führt, geht es nicht immer um die harmonische Abstimmung zweier Figuren. Die Kräfte können hier durchaus auch miteinander ringen, sich stützen und auffangen, aushalten und gegenhalten, sich überbeugen und den anderen einschließen, sich aufbäumen und aufrichten, stürzen und einander entfliehen. Die beiden in den Werken sichtbar gemachten Gegenspieler werden im allgemeinen als polare Dichotomien bezeichnet, die hier ihre Energien ausbalancieren.
Dieses Ausbalancieren ist als Interaktion zweier Körper dargestellt, die vollständig auf ihre Gliedmaßen reduziert sind. Dennoch bleiben sie als Körper erkennbar. Die Werktitel - also Worte wie Tanzen und Schreiten - legen die Einordnung der Skulpturteile als Körper zusätzlich nahe. Den Armen und noch mehr den Beinen dieser Figuren aber kommt eine überragende Rolle zu. Rumpf und Kopf fehlen und sind nurmehr ein Treffpunkt aufstrebender Linien, der die Figuren an ihrem Scheitelpunkt zusammenhält. Es ist ein bloßer Spannungspunkt, in den die Gliedmaßen münden. (So scheint es übrigens folgerichtig, daß sich nach etlichen dieser "Tänze" eine neue Werkreihe Bahn brach, nämlich eine Reihe von Köpfen, die ebenfalls stets noch erweitert wird. Einige dieser Köpfe erwartet uns morgen im Holzdorfer Park.)
Daß die Figuren auf ihren Bewegungsapparat reduziert sind, muß also die Werkdeutung bestimmen und zeigt, worum es Beate Debus in einem übergeordneten Sinn geht: Nämlich um die Bewegung der Körper im Raum - um das Raum greifen und Raum geben, weiterhin das Ausloten von Identität und Veränderung, von Eigenem und Anderem - man assoziiert vielleicht unwillkürlich das Diktum von Immanuel Kant: Die Freiheit des Einzelnen beginnt dort, wo die Freiheit des anderen endet bzw. die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt - also diese für jedes soziale Gefüge, aber auch jede Paarbeziehung so grundlegende Erkenntnis.
Im "Schattentanz" scheint die weiße Figur sich an die schwarze, größere, über-kragende und offenbar ebenso beschützende wie wegweisende Figur anzulehnen. Ein schwarzer Arm umfängt die weiße Gestalt, ein anderer zeigt über Kopfhöhe eine Richtung an. Ein weißer Arm legt sich auf dem schwarzen ab. Freiwillig, so scheint es, wird hier zugunsten von Schutz und Lenkung ein Stück Freiheit abgegeben. Von Zeit zu Zeit ein gangbares Modell, denn Freiheit beinhaltet die Verpflichtung zu Entscheidung und Durchblick und ist deshalb bekanntlich auch anstrengend.
Die Entwürfe zu immer neuen Mustern der sozialen Interaktion zweier Körper entwickelt Beate Debus nicht direkt in Holz, sondern auf dem Papier. In Grafiken, Zeichnungen, Prägedrucken oder wie hier in Farbholzschnitten wird in der Zweidimensionalität - aber in perspektivischer Zeichnung - die dreidimensionale Skulptur vorgedacht. Wiederum dient eine Zweifarbigkeit der Hervorhebung der gegenläufigen Kräfte und der antagonistischen Bewegungen.
Auf ihrer homepage macht Beate Debus am Beispiel des Werkes "Fängt den Raum" den Studien- und Vorbildcharakter der - in diesem Fall - Kohlezeichnung für die Holzskulptur deutlich, indem sie Abbildungen der Zeichnung und der Skulptur direkt nebeneinanderstellt. Mit einem Aufruf werden beide Werke zugleich sichtbar - das ist sehr erhellend, wenn man sich für die Arbeitsweise und die Entstehung dieser Skulpturen interessiert. Die verschiedenen zweidimensionalen Werke gehen dabei natürlich nicht allein in ihrem Inhalt und in ihrem Studiencharakter auf. Die je eigenen Wirkungen der jeweiligen Techniken werden ausgenutzt - bei den Farbholzschnitten etwa die sprichwörtlich "holzschnitthafte" Einfachheit der Formen, die Farbkraft der Druckflächen, die sichtbare Überlagerung der Druckflächen, vor allem aber die 'Gesichtszüge' des Holzes, die mit Maserung, Jahresringen, ja sogar Astlöchern als deutliche Spuren des Materials den Bildinhalt mitbestimmen. Eine völlig andere Sache als dasselbe Motiv in einer Kreidezeichnung.
Betrachten wir daneben nun die Werke von Thomas Röthel, erstmals in Weimar. Wie schon angedeutet, ist der 1969 in Ansbach geborene Künstler wie Beate Debus auch auf den großen Messen, Symposien und Ausstellungen Europas zuhause. Er erlernte zunächst die Holzbildhauerei und studierte anschließend von 1992-98 bei Professor Hölzinger in Nürnberg. So bildete Thomas Röthel sich auch im architektonischen Denken und in Fragen von Kunst und Öffentlichem Raum aus. Seit 1995 entwickelt er Stahlskulpturen und ist seit 1998 freischaffend tätig.
Thomas Röthel zeigt im Außenraum einige seiner meterhohen liegenden oder freistehenden Stahlskulpturen, die nicht auf bestimmte Plätze bezogen, sondern als absolute Formen in der Vorstellung des Künstlers entstehen. Im Gegensatz zu Beate Debus dienen Thomas Röthels Papierarbeiten nicht dem Entwurf seiner Skulpturen. Sie sehen, daß die Werke ein völlig anderes Gesicht zeigen. Lagen von Büttenpapier werden aufeinandergeschichtet und mit einem Werkzeug durchstoßen. Die reine weiße Fläche wird nicht mit Druckstock, Zeichenstift oder Pinsel bearbeitet, sondern plastisch verformt, ihre Verletzlichkeit dadurch sichtbar gemacht und gewissermaßen ihr Innenleben - ihr Aufbau aus den Lagen von Büttenpapier - erforscht oder zumindest offengelegt. Eigentlich ein recht brutaler Zugriff auf ein zartes Material: Sie wissen, Papier wird aus einem Brei aus Zellstoff oder Haderlumpen geschöpft - in seinem Namen trägt das "Büttenpapier" die "Bütt", also den Bottich seiner Schöpfung weiter. Wir sind gewohnt, Papier lediglich als Schrift- oder Bildträger zu sehen. Das heißt wir achten auf das, was auf das Papier aufgedruckt oder geschrieben ist und dringen mit unserer Aufmerksamkeit gar nicht bis zum Papier selber vor. Anders verhalten sich da nur Paläografen, die mit alten Papieren, mit Pergament oder Papyrus immer auch den Schreibstoff thematisieren, der einen Inhalt für uns aufbewahrt hat - manchmal als Palimpsest, also als abgeschabtes und neu beschriebenes Pergament sogar in verborgener Weise.
Thomas Röthel nun läßt uns gar keine andere Möglichkeit, als das Papier selber - das Material der Kommunikation - aufmerksam zu betrachten. Es ist kein Bildträger, sondern wird durch die jeweiligen Muster und Spuren seiner Verletzungen und Makel selber zum abstrakten Bildobjekt. Die Manipulation des Materials wird zum Inhalt des Kunstwerks. Das Medium selber wird zur Botschaft. Die Verletzungen können Empörung oder sogar eine Art Mitleid hervorrufen. Die Spuren der Gewalt können Kopfschütteln und Entsetzen provozieren. Sie heben aber im Gegenzug dort, wo sie nicht gewütet haben, die Reinheit der Fläche und die Haptik des Büttenpapiers erst so recht hervor. Wir können auch an den plastischen Verformungen vorbei auf die unberührte Fläche schauen und im Kontrast zu den Einstichen bemerken, wie weich ihre faserige Oberfläche, wie unglaublich weiß und einheitlich ihr Material ist.
Neu in der heutigen Ausstellung ist die Erweiterung der Papierarbeiten in die Zweifarbigkeit hinein - daß nun die schwarze Einfärbung einer Papierhälfte hinzukommt. Reizvoll dann die Möglichkeit, in die weiße Hälfte des Papierobjekts hinein gewissermaßen Fingerabrücke in der schwarzen Farbe zu hinterlassen und so eine tastende Verbindung der beiden farblich so streng geschiedenen Bildhälften herzustellen.
Kommen wir nun zu der "Drehung", die Thomas Röthel mit in die Galerie gebracht hat. Da seine Papierarbeiten, wie wir gesehen haben, ihm nicht als Entwürfe für die Stahlskulpturen dienen - wie entwirft er diese meterhohen und kostspieligen Metallarbeiten dann? Nun - er baut die neue Idee erstmal mit weniger Material als kleine Skulptur vor. Wie in den großen Arbeiten muß hier der Stahl an den Stellen, die sich verformen sollen, eingeschnitten und erhitzt werden. Dann kann über einen Hebel mit der Drehung oder Biegung begonnen werden. Im kleineren Format geht alles einfacher und schneller und spart Material, Zeit und damit Kosten - eine gute Möglichkeit, die Praktikabilität eines neuen Entwurfs im großen Format vorab einzuschätzen. Zugleich ist die gleichsam archaische Lust am Kräftemessen mit dem Material auch in den kleinen Arbeiten schon ungebrochen am Werke. Auch hier bedarf es der genauen Kenntnis und der Unterordnung des Künstlers - oder des weltenschöpferischen, demiurgischen Schmieds - unter die Gesetzmäßigkeiten der Natur, um sich dieser Gesetzmäßigkeiten im Werkzeuggebrauch dann umso sicherer zu bedienen.
Mit der "Drehung" zeigt uns Thomas Röthel ein Werk, in welchem die Kräfte auf den Kern der Arbeit, nämlich das verwirrend verwobene Geflecht schmalerer Stahlarme, nur indirekt gewirkt haben. Vier Stahlplatten werden übereinandergelegt und zwischen den Schmalseiten zweier größerer Quader eingeschnitten. Das ist die Stelle, an der der Block über einem Steinkohlefeuer erhitzt wird. In der roten Glut, bevor das Material zu weich oder gar fließend wird, wird die Skulptur an dieser Stelle auseinandergezogen und verdreht. Dabei werden die beiden äußeren Quader gegeneinander verschoben, so daß sich die Stahlarme in der Mitte durch die indirekte Krafteinwirkung an den Einschnitten öffnen, ebenfalls verschieben und gegeneinander verdrehen. Es ist eine Arbeit, die viel Erfahrung und ständiges Augenmaß erfordert, denn der Künstler schafft sein Werk über die Gratwanderung zwischen dem zu heißen und damit zu weichen Material einerseits und dem schon zu weit erkalteten Stahl, der sich nicht mehr verbiegen läßt, sondern bricht. Das vier Meter hohe Pendant dieser kleinen Skulptur sehen Sie diesen Sommer über auf dem Weimarer Theaterplatz. Weitere größere Arbeiten werden wir gemeinsam morgen in Holzdorf betrachten.
Ich möchte zum Schluß noch auf einen Aspekt aufmerksam machen, der das Werk beider Künstler - Beate Debus und Thomas Röthel - verbindet. Es ist ein inhaltlicher Aspekt und betrifft die Zweipoligkeit der Skulpturen bzw. Plastiken. Bei Beate Debus sind wir auf die Einheit ihrer schreitenden "Tanz"-Figuren aus zwei Gestalten oder widerstreitenden Kräften bereits eingegangen. Auch bei Thomas Röthel werden wir morgen noch genauer sehen, wie immer wieder das Aufeinander-Bezogen-Sein zweier häufig wirklich identischer Grundformen das einzelne Kunstwerk bestimmt. Die Balance einer Dichotomie, die wir im Werk von Beate Debus beobachtet haben, liegt - wenn auch mit einer völlig anderen Aussage des fertigen Kunstwerks - auch dem künstlerischen Erkenntnisinteresse Thomas Röthels zugrunde. Immer wieder schafft er Formen, in denen wir zwei gleiche Teile aus Stahl verbunden, aber gegeneinander verschoben, verdreht, oder ineinandergeschoben finden.
Soweit für heute. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend und danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Dr. Cornelie Becker-Lamers, Weimar