Adelheid Eichhorn. Malerei
Rede zur Eröffnung der Ausstellung
Galerie Profil Weimar, Freitag, 13. August 2021, 18 Uhr
Liebe Elke, liebe Frau Eichhorn, sehr geehrte Damen und Herren,
wie alt ist der Wunsch, eine Kunst in eine andere zu übersetzen? Die Inhalte eines Werkes mit den Mitteln einer anderen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeit in ein neues Werk zu überführen? Oder die Gefühle, die ein Werk ausdrückt, in der Formensprache einer anderen Kunstform zu vermitteln? - Ich weiß es nicht. Aber im Grunde sollte bereits jede Vertonung eines Textes dem selbstgesetzte Ziel entsprechen, dem Inhalt der ausgewählten Lyrik in der Musik einen adäquaten Ausdruck zu verleihen. Auch Bühnenbilder stehen wohl in der Pflicht, sich in den Dienst von Musik und Text einer Oper oder eines Dramas zu stellen und mit ihren Mitteln der dreidimensionalen bildlichen Darstellung deren Wirkung zu verstärken. Die Idee einer inneren Verwandtschaft künstlerischer Mittel und die Frage nach einer wechselseitigen Übersetzbarkeit der Ausdrucksgehalte von Bild und Text, Wort und Musik, Malerei und Tonkunst haben sich denn auch schon in idiomatischen Ausdrücken und Redewendungen niedergeschlagen, wenn wir von der "Klangfarbe" eines Instruments oder der "Musikalität" der Sprache eines lyrischen Textes reden.
Phänomene wie die sinfonische Dichtung - eine musikalische Form, die im 19. Jahrhundert besonders beliebt war - stellen den Versuch dar, in Musik zu fassen, was zu beschreiben oder zu malen wäre. Denken Sie an die Moldau von Smetana, die den Verlauf des Flusses vom lebendigen Bächlein zum majestätischen Strom musikalisch nachzeichnet. Die "Bilder einer Ausstellung" von Modest Mussorgsky sind ein konkreter Versuch, die Wirkung von Malerei in Akkordfolgen einzufangen.
Von Künstlern der Klassischen Moderne ist eine Steigerung der Wahrnehmungsfähigkeit bekannt, die synästhetische Wahrnehmung genannt wird. Nikolai Rimsky-Korsakoff, Alexander Skrjabin oder auch - für Adelheid Eichhorn besonders relevant - Wassily Kandinsky ist bekannt, daß sie Farben hören konnten oder Akkorde und Tonarten sich ihnen mit visuellen Eindrücken verbanden. Das heißt, diesen Künstlern war ein Leitfaden angeboren, der sie zur Verbindung von Musik mit Licht, Farben und Malerei trieb.
Auch Adelheid Eichhorn besitzt diese Fähigkeit zur synästhetischen Wahrnehmung. Auch ihr drängt sich beim Musikhören ein visueller Eindruck des Gehörten auf. Für Adelheid Eichhorn bezieht sich die Umsetzung des Klangs in die Malerei dabei eher auf die Klangfarbe verschiedener Instrumente. Sie faßt eine Orchestrierung mit unterschiedlichen Farbempfindungen auf und kann sie mit zeitlichem Abstand zum Hörerlebnis auf der Leinwand in ihre Malerei umsetzen. Auch die Dynamik einer Musik kann sie sicher einfangen, indem sich ihr ein lauter Ton mit einem anderen Bild bzw. einem anderen Pinselduktus verbindet als ein leiser. So nutzt Adelheid Eichhorn konsequent musikalische Eindrücke als Antrieb für ihr eigenes künstlerisches Schaffen. Was die Musik bestimmt, wird in die Mittel der Malerei übersetzt: Struktur und Form, Rhythmus und Tempo, Dynamik und Entwicklung, Lautstärke und Leichtigkeit.
Der Wirkung eines Musikstücks wird dadurch zu einer Gleichzeitigkeit verholfen, die uns auf den ersten Blick - sozusagen: im Nu - ergreifen kann. Denn während die Musik niemals der Linearität der Zeit entkommen kann - Musik also immer im zeitlichen Vollzug erfaßt werden muß -, wirkt ein Bild immer auf den ersten Blick in seiner Gesamtheit. Dies birgt freilich auch Gefahren in sich. Indem wir ein Bild mit einem Blick erfassen, glauben wir es auch zum Teil vielleicht auf Anhieb zu verstehen und emotional auszuschöpfen. Das ist natürlich nicht der Fall - kein Mensch kann das. Wichtig ist vielmehr gerade in der "musikalischen" Malerei die Kontemplation eines jedes Bildes. Denn erst indem ich mich dem Seheindruck über eine längere Weile hinweg aussetze und das Werk auf mich wirken lasse, ermögliche ich der Bildenden Kunst das Wirken des Zeitfaktors, der den übrigen Künsten zur Entfaltung ihrer Werke naturgemäß gegeben ist. Die zeitliche Linearität einer dramatischen Entwicklung in Literatur, Theater oder Musik kann erst die ruhige Betrachtung auch der Bildenden Kunst zugute kommen lassen.
In seiner Habilitationsschrift aus dem Ende der 80er Jahre hat der emeritierte Kunstgeschichtsprofessor der Weimarer Bauhaus-Universität, Karl Schawelka, das "Ideal des Musikalischen in der Bildenden Kunst" aufgearbeitet. "Quasi una musica" heißt sein Buch und er beschreibt darin anhand vieler Beispielstudien die Bemühungen um die Umsetzung musikalischen Erlebens in bildkünstlerischen Werken, d.h. um die Nachahmung der Wirkung von Musik auf den Rezipienten in Gestalt der Bildenden Kunst.
Hauptaugenmerk kann hier nicht die "Information" sein, durch die ein musikalisches Werk ins Visuelle zu transkribieren wäre. Die Umsetzung der Information gibt es freilich auch, sie leistet die Notenschrift. Doch wir wissen alle, dass es nur wenigen geübten Musikern vergönnt ist, anhand der Partitur ein Werk zu "hören" und seine Klangschönheit mit Empfindung zu füllen.
Soll die Wirkung der Musik im Bild nachempfindbar gemacht werden, muß die Information der Musik gerade außen vor bleiben. Das Ziel "musikalischer" Malerei ist vielmehr die metaphysische Sphäre "hinter" dem Werk. Denn auch Musik erzielt die zum Teil immense seelische Erregung in uns nicht durch das physikalisch Nachweisbare ihres Erklingens, sondern durch unsere eigene Imagination, die wir mit bestimmter Musik zu verbinden durchaus auch gelernt haben (gelernt: ein kulturell abhängiges Phänomen, welche Musik wie auf uns wirkt). Denken Sie nur an die Filmmusik, ohne die kein Krimi und kein Liebesfilm denkbar wäre und die aufgrund bestimmter musikalischer Floskeln und Instrumentierungen die seelische Erregung in uns erzeugt, die die Dramaturgie des Films an dieser Stelle eben gerade braucht. Ziel musikalischer Malerei ist somit die Imitation dieses Imaginationsaktes beim Rezipienten. Wie ein ganz in der Musik gefangener Zuhörer soll der kontemplative Betrachter eines Bildes in den rauschhaften Zustand von Ahnungen und visionären Offenbarungen versetzt werden, den die Musik ermöglicht. Das "Musikalische" bedeutet in diesem Zusammenhang dann "Stimmungselemente an einem Bild, die seine Immanenz überschreiten" (Schawelka). Der metaphorische Gebrauch musikalischer Begriffe wie "Rhythmus" oder "melodische Linienführung" erhalten so im Jargon der Kunstliebhaber ihren festen Platz, um Eindrücke zu beschreiben, die sich der Kontemplation erschließen mögen, objektiv aber im Bild nicht nachweisbar sind.
Auch Adelheid Eichhorn malt Musikstücke nicht im einzelnen nach, sondern zielt genau auf die metaphysische Erlebnisebene hinter der Musik, auf die Imagination des Betrachters ab. Das zeigt sich, wenn man Werke wie den Cephiro-Zyklus nach Musik von Claudio Monteverdi mit einer Chopin-Studie aus dem Jahr 2007 vergleicht. Monteverdi lebte in Italien von 1567-1643 und schrieb entsprechend frühbarocke Musik - koloraturenreich und dennoch immer etwas spröde. Frédéric Chopin ist mit seinen Lebensdaten von 1810-1849 zu den Romantikern zu zählen. Entsprechend schwelgerisch sind seine Kompositionen. Oder hier in der Ausstellung die Arbeiten zu Scarlatti und Prokofieff. Domenico Scarlatti 1685-1757, also zeitgleich zu Johann Sebastian Bach, Sergej Prokofieff 1891-1953. Sehr unterschiedliche Musikauffassung und grundlegend unterschiedliche Kompositionen. Dennoch unterscheidet sich die bildkünstlerische Umsetzung in allen vier Werken - wie auch in Arbeiten zu anderen Komponisten der klassischen Moderne, etwa Strawinsky im Fenster, und sogar zum Free Jazz - nicht annähernd so prägnant wie die verschiedenen Musikstile der einzelnen Epochen und die persönlichen Kompositionsstile der Künstler aus aller Herren Länder. Immer tritt in der Malerei Adelheid Eichhorns ganz klar ihre Handschrift in den Vordergrund der Malerei: Ihr Pinselstrich, ihr Duktus, die Expressivität in Bildern, die von ganz klarer, offensiver, ja struppiger und widerspenstiger Linienführung gekennzeichnet sind wie auch im kreisenden Einholen der Farben ins Innere eines Werkes. Immer ist es natürlich Adelheid Eichhorn, die hier schöpferisch tätig ist und ihre Eindrücke in die Ausdruckskraft ihrer Malerei verwandelt. Immer wird die eigene Stimmung umgesetzt.
Denn Musik entsteht ja im Hören. Die Wirkung von Musik entsteht im Rezipienten. Vom Imaginationsakt, der für den seelischen Eindruck verantwortlich ist, habe ich ja vorhin bereits gesprochen. Und dieser Imaginationsakt ist nicht nur abhängig von unserer Hörerfahrung, sondern sogar von der jeweiligen Situation, in der wir uns befinden. Nicht immer wirkt dieselbe Musik in gleicher Weise auf uns. Und jede Hörerfahrung bereitet die Wirkung der nächsten Musik vor. Es ist ein hermeneutischer Zirkel, in dem wir immer vor dem Hintergrund einer Hörerwartung ein Musikstück aufnehmen und hinterher um eine Erfahrung reicher sind, die wiederum das nächste Hörerlebnis beeinflußt.
Und so verbindet Adelheid Eichhorn die Malerei im Zuge einer Beschäftigung mit Musik denn auch mit zwei unterschiedlichen Zielen. Zum einen fließt in den künstlerischen Prozeß die eigene Stimmung der Malerin mit ein. So dient der Malprozeß unter anderem auch der Verarbeitung eigener Erlebnisse. Zum andern möchte Eichhorn mit ihren Bildtiteln (Hommage an Skrjabin, Strawinsky, Schönberg, Stockhausen etc.) beim Betrachter die Auseinandersetzung mit diesen Komponisten anregen. Bei mir hat das bereits funktioniert. Ich habe im Zuge der Vorbereitungen dieser Laudatio einige Werke von Skrjabin erstmals gehört, beispielsweise den "Prometheus", ein Werk für Chor, Orchester und ein von Skrjabin selbst entworfenes Lichtklavier (Skrjabin war Synästhet!) Tasten sind Farben zugeordnet und der Konzertsaal wird im Verlauf des Stückes immer wieder in andere Farben getaucht - ein Effekt, der zum Zeitpunkt der Komposition technisch noch gar nicht realisierbar war, Skrjabin verstarb schon 1915. Da war er seiner Zeit weit voraus, hat sein Thema - Prometheus holt dem Mythos nach ja für die Menschen das Feuer vom Himmel - hat sein Thema aber sehr eindrücklich nachvollziehbar gemacht.
Adelheid Eichhorn liebt auch Lyrik sehr. Dennoch findet sie in der Abstraktheit der Absoluten Musik eine inhaltliche Unabhängigkeit, die sie ihr für eine Umsetzung in die Malerei besonders nahe bringt. Die Übersprachlichkeit der Töne bietet eine Freiheit der Form, die auch die Malerei von der Darstellung konkreter Inhalte entbindet. So können wir in den phantastischen und kraftvoll auf die Leinwand gebrachten Linien der Strawinky-Reihe wohl mutmaßen, ob hier eine rasende Bewegung eingefangen oder ein stabiles Gerüst nachgezeichnet worden ist, ob es hier um die bildkünstlerische Darstellung dissonanter Akkorde oder um die Interferenz lange ausgehaltener Toncluster geht - sicher zu sagen ist das nicht, und auch wenn es das wäre, wäre kein konkreter Inhalt damit beschrieben und dadurch auch keiner verfehlt. Es ist die Sache jedes einzelnen von uns, die Werke auf uns wirken zu lassen und die Emotionen daraus zu ziehen, die uns angemessen sind.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen schönen Abend und viel Freude in dieser Ausstellung. Viele Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Dr. Cornelie Becker-Lamers, Weimar